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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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überzeugen konnte, dass mein Vorhaben rechtens ist. Letzten Endes wiederholt Ihr nur meine eigenen Zweifel. Ich wollte an Euch ausprobieren, ob die Menschheit bereit ist, die Idee einer Welt ohne Gott anzunehmen. Ich sehe jetzt, dass sie nicht bereit ist. Tja, soll das Buch auf seine Stunde warten. Wir aber . . . Wir fahren von hier weg. Baut Euer wunderbares Schloss und stellt mir ein Zimmer darin zur Verfügung. Ich nehme Euer großzügiges Angebot an.«
    ***
    An dieser Stelle traten auch dem Musketier die Tränen in die Augen – ehrlich gesagt, er hatte mit einem langen, quälenden Wortwechsel gerechnet und sein Herz schon vorher gewappnet, nicht nachzugeben.
    »Euer Edelmut hat nicht seinesgleichen, Herr Walser«, rief der Hauptmann begeistert aus. »Ich weiß, wie viel Ihr aufgebt: Euren Traum, Euer Lebensziel, einen großen Plan. Aber Ihr habt die Weisheit besessen, zu verstehen, dass Euer Wunsch, die Menschheit zu beglücken, sie einer tödlichen Gefahr aussetzt. Wisst Ihr was?« Der gerührte Cornelius deutete auf den offenen Deckel des Altyn-Tolobas. »Nehmt Euch die Hälfte meines Anteils als Entschädigung für Euer Buch. Das ist nur gerecht.«
    Der Apotheker lächelte zerstreut; er hatte sich anscheinend in Gedanken noch nicht von seinem grandiosen und wahnwitzigen Projekt getrennt.
    »Ich danke Euch. Mir reicht der Aristoteles, umso mehr, als Ihr auf diese bescheidene Handschrift auch keinen sonderlichen Wert legt. . . Tja, lieber Cornelius, jetzt können wir auch ein Glas trinken. Auf das Scheitern großer Pläne und auf die weise Untätigkeit.«
    Von Dorn hob seinen Becher gern. Der Wein war dickflüssig und herb, er schmeckte nach Harz, dem Eichenfass und irgendwelchen Kräutern.
    »Und Ihr?«, fragte der Hauptmann, als er sah, dass Walser noch nicht getrunken hatte. »Los, bis zum letzten Tropfen. Oder wie die Moskowiter sagen: bis zum Fingernagel, denn anschließend wird der Fingernagel unter das Glas gehalten, und es darf nur ein einziger Tropfen darauf landen. Dieser Fingernagel bringt die Russen noch um, aber Ihr, von einem Becher guten Weins werdet Ihr Euch doch nicht gleich dem Trunk ergeben?«
    Der Hauptmann lachte über seinen eigenen Witz, griff den Becher, setzte ihn dem Apotheker an den Mund und passte auf, dass dieser wirklich alles austrank.
    »Und jetzt gebt Euren Fingernagel her.«
    Außer Atem drehte Walser den Becher um und hielt ihn über den Daumen. Nicht ein einzelner Tropfen floss heraus, sondern ein ganzes Bächlein, aber für einen Bücherwurm war auch das schon gar nicht schlecht.
    »Ich . . . ich bin es nicht gewohnt. . . so viel. . . zu trinken.« Der Apotheker schnappte nach Luft. Seine Hand tastete krampfhaft in der Hosentasche und förderte ein Glasfläschchen mit einer lila Flüssigkeit zu Tage. »Das ist ein Magenelixier . . .«
    Er trank das Fläschchen zur Hälfte aus, steckte es an seinen Platz zurück und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.
    Auch Cornelius wurde heiß. Wie es sich für einen edlen Tropfen gehört, benebelte der Zypernwein nicht den Kopf, sondern ging in die Beine. Er wankte.
    »Ihr seid ein wenig blass«, sagte der Apotheker. »Kein Wunder – bei dem, was Ihr in den letzten vierundzwanzig Stunden alles durchgemacht habt. Setzt Euch doch.«
    Er rückte einen Stuhl heran, und von Dorn setzte sich dankend. Er stützte den Ellbogen auf den Tisch. Offenbar machte sich die Müdigkeit wirklich bemerkbar: Eine bleierne Schwere kroch langsam von den Fußsohlen immer mehr in seinem Körper hoch.
    Walser schaute den Hauptmann merkwürdig an, schwer zu sagen, ob mit Angst oder Mitleid.
    »Versucht aufzustehen«, sagte er plötzlich.
    Cornelius wunderte sich. Er stützte sich mit der Hand ab, um aufzustehen, aber seine Beine wollten nicht gehorchen.
    »Was ist mit mir los?«, murmelte von Dorn und schaute bestürzt auf seine Knie, die ihm den Dienst versagten.
    »Das ist das Gift, das wirkt, mein armer Freund«, sagte Walser traurig. »Zu meinem großen Bedauern habt Ihr mir keine andere Wahl gelassen. Ich habe Euch – wie am Anfang unserer Freundschaft schon einmal – auf die Probe gestellt, aber diesmal habt Ihr sie nicht bestanden. Damals ging es um Eure Treue, heute um Eure Reife. Mein guter Hauptmann, leider seid Ihr kein Kind des Lichtes, sondern eins der Finsternis. Euer gefesselter Verstand weilt im Dunklen. Das macht nichts, das Buch wird helfen, die Finsternis zu vertreiben. Ich verwirkliche meinen Plan, nur ohne Eure Hilfe.

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