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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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den Weg. Aber er hatte ja keine Wahl.
    Er befestigte die Haken des Leiterendes an den Brettern. Zog an der Leiter, um zu prüfen, ob sie hielt. Ließ das Ende mit dem Gewicht ins Dunkle fallen. Schon bald war unten ein dumpfes Geräusch zu vernehmen, das Gewicht hatte also den Boden erreicht. Nicht besonders tief, keine zehn Fuß.
    Fandorin zwang sich mit äußerster Willensanstrengung zu vergessen, dass er womöglich nicht lebendig aus diesem Keller herauskäme. Das Geheimnis war und blieb ein Geheimnis und lockte auch jetzt, angesichts tödlicher Gefahr, keinen Deut weniger als vorher.
    Was war da unten in der Finsternis wohl? Waren da eisenbeschlagene Truhen mit Manuskripten?
    Die Füße trafen auf etwas Weiches, Nachgiebiges.
    Nicholas schaute dorthin – Gott sei Dank, dass Schurik von oben mit der Lampe leuchtete – und schrie auf. Er war mit seinem Sportschuh auf die Brust des toten Maxim Eduardowitsch getreten.
    Der Magister tat hastig einen Schritt zur Seite. Er hatte nicht Steine, sondern Erdreich unter den Füßen. Eine dicke graue Staubschicht lag darauf, schwarz gewordene kleine Holzklötze – wahrscheinlich die Reste einer Anlegeleiter.
    Der Lichtkegel wurde größer – Schurik hatte die Lampe anders eingestellt: Ja, wirklich, der Boden war aus Erde oder Lehm. Ein Lehmboden ist von Natur aus gegen unterirdisches Wasser geschützt. Eine Bibliothek in einer anderen Umgebung aufbewahren zu wollen, wäre Wahnsinn gewesen.
    An der linken Wand lag hochkant etwas Breites, Hölzernes. Der rechteckigen Form und dem halb im Staub ertrunkenen bronzenen Tintenfass nach zu schließen, eine Tischplatte. Fandorin berührte den Brettrand mit dem Fuß, und ein ganzes Stück löste sich in Mulm auf. Und da waren die genauso morschen Reste eines Holzsessels. Glasstücke, Tonscherben, ein paar Fläschchen wunderlicher Form. Was das hier wohl gewesen war – ein Labor? Der Lagerraum einer Apotheke?
    Der Raum war nicht besonders groß, sehr viel kleiner als der Keller darüber. Eine Truhe war weit und breit nicht zu sehen. Nichts fiel irgendwie auf. Ein Reich des Staubes. Sogar von der Decke hing er in grauen Fetzen.
    Nicholas schniefte, nieste – einmal, noch mal.
    »Gesundheit!«, brüllte Schurik von oben.
    Das Echo war so hallend, dass Fandorin erzitterte.
    »Ist da was zu holen?«, fragte der Witzbold ungeduldig und leuchtete mit der Taschenlampe mal hierhin, mal dahin.
    Ein länglicher Haufen lag auf dem Boden.
    Nicholas ging in die Hocke und wischte den Staub mit der Hand ab. Ein Skelett! Ein weit geöffneter Mund mit vielen Zähnen. Die Kleidung war verwest, nur am Becken funkelte eine Kupferschnalle, und zwischen den Wirbeln blitzten Knöpfe. Das waren sie also, die »todten beyne«, vor denen man keine Angst haben sollte, wie Cornelius meinte. Aber es war trotzdem unheimlich.
    Seitlich davon gab es noch einen Haufen. Er war kleiner.
    Fandorin scharrte vorsichtig den Staub weg, schon nicht mehr mit der Hand, sondern mit dem Schuh.
    Bast? Wahrscheinlich. Wie hieß es noch in dem Schreiben: »Den Samoley vnter dem baste aber nimm nicht so dir deyn seelenheyl lieb«?
    Was sah man da durch den Schlitz so furchtbar grell aufblitzen?
    »Ich hab‘s. . .«, hauchte der Magister fasziniert. »Ich hab’s!«
    »Ich hab’s«, wiederholte Schurik begeistert irgendwie zur Seite hin, und es war unklar, an wen er sich damit wandte.
    Weniger als eine Sekunde später kam von oben ein sattes Geräusch unklarer Herkunft, ein Mittelding zwischen »Patsch!« und »Knack!«.
    Nicholas drehte sich um und sah, wie zuerst die Brille auf den Boden fiel und danach auch Schurik selbst aufschlug. Er landete direkt auf dem reglosen Körper des Archivars, rollte auf den Boden und blieb da mit dem Gesicht nach unten liegen. Durch das strohblonde Haar sickerte reichlich dunkles Blut – man konnte förmlich Zusehen, wie aus dem blonden Schurik ein brünetter Typ wurde.
    ***
    Aber die Taschenlampe war nicht heruntergefallen, sondern befand sich immer noch dort, wo sie auch vorher gewesen war – am Rand der Luke. Der Lichtkegel wackelte auf einmal, wurde kleiner und intensiver und verwandelte sich dann in einen schmalen, grellen Strahl, der dem perplexen Fandorin direkt in die Augen leuchtete.
    »Wer ist da?«, schrie Nicholas und hielt sich schützend die Hand vor die Augen. »Igor, Sascha, seid ihr’s?«
    Aber die Antwort kam nicht von einem der Bodyguards, sondern vom Chef der Sicherheitsabteilung der »Eurodebet«, von Wladimir

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