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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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losreißen, der Doktor der Geschichtswissenschaften rutschte nach hinten weg, schlug gegen den Rand der Luke und verschwand in dem gähnenden Loch.
    Das schwarze Rohr, das nach glühendem Metall und Pulver roch, richtete sich auf Nicholas. Er kniff die Augen zusammen.
    Und hörte:
    »Keine Angst, Kolja. Sedoi hat seinen Auftrag zurückgezogen. Atme ruhig durch, das kannst du jetzt.«
    »Zurückgezogen? Wieso zurückgezogen?«, fragte Fandorin mit hölzerner Stimme.
    »Du gefällst ihm. Er findet, du bist ein toller Typ und sollst ruhig am Leben bleiben.«
    Nicholas’ Augen hatten sich schon an die schwache Beleuchtung gewöhnt, und er sah das Gesicht des Killers jetzt ganz deutlich: die zu einem Lächeln auseinander gezogenen dünnen Lippen, die kindlich glatte Stirn und die Backen mit den Grübchen.
    »Ich und Sedoi gefallen? Den kenn ich doch überhaupt. . .«
    Fandorin redete nicht zu Ende – er stöhnte und verfluchte seine Begriffsstutzigkeit. Na klar, na klar! Das war doch wirklich nicht zu übersehen!
    Er fragte nicht, sondern konstatierte vielmehr: »Bolotnikow hat also von Anfang an für Ihre Seite gearbeitet? Ist auf meinen Artikel gestoßen und gleich zu Sedoi gerannt?«
    »Ich weiß nicht, auf was er da gestoßen sein soll, aber er steckt schon lange mit Sedoi unter einer Decke. Wlad hat ja schon damals das Geld für diese Kommission abgedrückt.«
    Sedoi war also der Sponsor der Kommission gewesen, die nach der Bibliothek Iwans des Schrecklichen hatte suchen sollen. Deshalb hatte Bolotnikow, als er den Artikel in der britischen Zeitschrift gelesen hatte und ihm klar wurde, dass es eine Chance gab, die Liberey zu finden, sich sofort Hilfe suchend an Sedoi gewandt. Er hatte den englischen Trottel nach Moskau gelockt, ihn den erfahrenen Händen von Schurik überlassen und sich selber dem Studium des Schriftstücks zugewandt. Maxim Eduardowitsch hatte kein fotografisches Gedächtnis, sondern das Schriftstück war so lange in seinen Händen gewesen, dass er die ersten Zeilen auswendig konnte.
    Und was war dann geschehen?
    Das war auch klar. Bolotnikow hatte fast sofort verstanden, dass es in der linken Hälfte des Schriftstücks ein paar Stellen gibt, die verschlüsselt sind und die nur jemand verstehen kann, der sich mit der Geschichte des Geschlechtes der von Dorns auskennt. Darum hatte Schurik von seinem Chef den Auftrag erhalten, die Jagd auf den Engländer einzustellen und ihm den Aktenkoffer wieder zuzuspielen. Außerdem hatte Sedoi den Magister unter seine eigenen Fittiche genommen, weshalb er auch das Theater mit Prügelei und Knallerei inszeniert hatte, von dem man wirklich sagen musste, dass es gelungen war. Der Plan war idiotensicher: Erst Nicholas erschrecken und in eine Situation bringen, in der er Hilfe braucht. Dann ihm einen sicheren Zufluchtsort anbieten, bittschön, hier kannst du sitzen, so lange du willst. Aller Komfort und volle Unterstützung, falls du vor lauter Langeweile ein kniffliges Rätsel knacken willst. Wenn sich der beschwipste Nicholas nicht von einem altruistischen Anfall hätte mitreißen lassen, wäre mit Sicherheit alles so gelaufen . . .
    »Ach so, dieser besagte Sedoi, das ist also Wlad«, erkannte Fandorin und lächelte bitter, als er sich an die weite Seele des wunderbaren Freibeuters erinnerte. »Warum heißt er dann Sedoi, der Grauhaarige, er ist doch noch jung.«
    »Das ist sein Spitzname. Eigentlich heißt er mit Nachnamen Solowjow, was an den Schnulzen-Komponisten Solowjow-Sedoi erinnert, den jedes Kind kennt«, antwortete Schurik.
    Aber das war nicht wichtig. Nicholas hatte eine wichtigere Frage.
    »Und was hat sich Bolotnikow zu Schulden kommen lassen? Oder brauchen Sie ihn einfach nicht mehr?«
    »Der wollte einfach ein bisschen zu clever sein und heimlich ohne Sedoi den Tresor knacken. ›Das dauert noch, es ist noch unklar, was dabei herauskommt‹«, zitierte ihn der Killer und äffte dabei den hohen Bariton des Archivars nach. »Hat Sedoi linken wollen. Für so was wird man bei uns umgelegt. . . Was guckst du denn so? Los, kriech hinein.«
    Der lustige Killer zeigte auf die Öffnung im Boden.
    »Komm schon. Ich leuchte dir von oben. Warum stehst du denn immer noch so da? Brauchst du eine Ohrfeige?«
    Fandorin erinnerte sich an die lässige Grazie, mit der Schurik ihm einen Tritt in die Leistengegend verpasst hatte, und wickelte schnell die Strickleiter ab. Der Behauptung, Sedoi habe angeordnet, »den tollen Typ« am Leben zu lassen, traute er nicht über

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