Die Bibliothek des Zaren
Gesetze, aber mit der Zeit bemerkte er, dass die Menschen damit irgendwie klarkamen, sie passten sich an und verstießen sehr viel häufiger gegen diese Gesetze als in Europa, wo das Gericht weitaus gnädiger mit den menschlichen Schwächen umging. Und da kam der Porutschik zu dem Schluss: Wenn die Gesetzesvorschriften zu streng sind, halten sich die Leute nicht daran – sie finden einen Weg, sie zu umgehen. Durch zu große Gewalt wird die List gefördert. Dann sickert Wasser durch den Stein, und Gras wächst durch den Ziegel.
Wenn es irgendetwas gab, was man von den Moskowitern lernen konnte, so waren es Schläue und Durchtriebenheit. Da brauchte man nur das allergewöhnlichste, harmlose Verbrechen zu nehmen: Jemand hat Schulden gemacht und kann sie nicht zurückzahlen. In Moskau schnappt man sich den Zahlungsunfähigen und treibt die Schuld per Gericht ein: Stundenlang, vom Morgen bis zum Mittag, schlägt man ihm mit Stöcken auf die Knöchel, bis er aufheult und sich aus freien Stücken als Leibeigener verkauft, Hauptsache, die Qual hat ein Ende. Während seines jahrelangen Militärdienstes hatte sich von Dorn so oft bis über den Kopf verschuldet, dass, würde er nach russischem Brauch leben, er sich schon längst als Galeerensklave hätte verkaufen und sich angekettet in die Ruder legen müssen.
So ist das nun einmal, aber wer von den Moskauern ein wenig erfinderisch ist, der geht am Tag, bevor es zur gerichtlichen Eintreibung kommt, in die Palaschewka-Gasse, in der die Henker wohnen, und empfiehlt sich dem Scharfrichter mit Geld oder Tuch, und der gibt einem dann für das Präsent ein Stück Blech, das man sich in den Stiefelschaft steckt. Dann kann man die Stockschläge gut aushalten.
Auch Frauen, die ein bisschen Charakter und Köpfchen haben, lassen sich durchaus nicht alles gefallen. Oberst Liebenau erzählte lachend, wie die Fürstin Kutschkina es angestellt hatte, ihren verhassten grausamen Mann loszuwerden. Sie raunte im Zarenpalast etwas in der Art, der Fürst kenne einen Zauberspruch, mit dem man bei Gicht den Schmerz lindern könne. Es traf sich, dass der Zar just zu diesem Zeitpunkt einen Gichtanfall hatte, schon etliche Tage mit verbundenem Bein im Sessel vor Wut weinte. Die Ammen liefen zur Zarin und raunten ihr die Ohren voll. Die lief zu ihrem Gatten, dem gekrönten Haupt, und sagte zu ihm: ob er schon gehört habe, Fürst Kutschkin wisse, wie man die Gicht besprechen könne, sich selbst kuriere er, aber vor anderen verberge er es. Der angebliche Heiler wurde vor das Antlitz Seiner Majestät zitiert. Er beteuerte und schwor, er habe keine Ahnung von dergleichen. Zar Alexej Michailowitsch redete ihm gut zu, versprach ihm eine hohe Belohnung, aber als der Fürst nicht darauf einging, traf ihn der Zorn des Monarchen mit voller Wucht. Wegen Zauberei, aber noch mehr wegen seines unerhörten Starrsinns, wurde Kutschkin ausgepeitscht und zu lebenslanger Buße in das Kloster von Solowki verbannt. Die Fürstin aber, Witwe zu Lebzeiten ihres Mannes geworden, freut sich des Lebens und hat sich einen ganzen Chor von schmucken Sängern angelacht.
Wenn man mit Tücke und Gemeinheit vorging, Ehre und Stolz fahren ließ, vor dem Stärkeren katzbuckelte und den Schwächeren nicht bemitleidete, dann konnte man es sich auch in Russland hervorragend einrichten. Und viele Ausländer taten genau das. Wie die holländischen Kaufleute in Japan, die das christliche Kreuz mit Füßen treten, um Seide und Porzellan von den Heiden zu bekommen. Hier in Moskowien konvertierte mancher Spitzbube zum byzantinischen Glauben, und sofort standen ihm alle Türen offen: Da kannst du Handel treiben, womit du willst, dir Leibeigene kaufen, dir eine reiche Braut nehmen. Wer von den europäischen Kaufleuten wurde am ehesten reich? Nicht die rechtschaffenen Händler, sondern wer dem Beamten im rechten Moment ein Geschenk zusteckte und die Konkurrenten bei der Obrigkeit anschwärzte. Und da hatte Cornelius, dieser arme Einfaltspinsel, gedacht, er könne hier ehrlichen Handel treiben! Als ob man mit diesen Wilden zu einem Einverständnis gelangen könnte!
Sein Vorhaben mit den roten Haaren für die »Laura«-Perücken wollte partout nicht in Gang kommen. Man denke, bei den russischen Weibern galt es als Schande, seine Haare zu zeigen. Sie würden eher alles andere zur Schau stellen als ihre Zotteln. Wie soll man unter den Tüchern und Mützen denn rauskriegen, welche rothaarig ist und welche nicht? Gut, die Mädchen tragen ihre Zöpfe
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