Die Bibliothek des Zaren
Holzsessel zugelegt, und dazu eine Fußbank, damit er gemütlich sein Pfeifchen rauchen und die Beine hochlegen konnte. Sie selber setzte sich daneben auf den Boden, legte den Kopf auf die Knie und fing an zu singen. Wenn das kein Paradies war! Besonders nach ausgekosteten Liebesfreuden, und davor wurde noch mit kaltem Sauerkirsch – oder Moosbeerenwein eingeheizt.
Wenn man es recht betrachtete, hatte auch das russische Leben seine angenehmen Seiten. Oder richtiger ausgedrückt: Wenn eine Frau einem Mann das Leben angenehm machen will, dann erreicht sie ihr Ziel sogar in Moskowien.
Cornelius wurde von der Witwe aufgefordert, ganz zu ihr zu ziehen, aber er hielt sich zurück und berief sich darauf, er müsse für seinen Dienst in der Nähe des Zeughauses wohnen. Steschka jagte dieses unverständliche deutsche Wort Angst ein, sie ließ ihn eine Weile in Ruhe, aber dann fing sie wieder davon an. In Wirklichkeit war nicht das Zeughaus der Grund – von Dorn fürchtete, er könne sich an das süße Leben gewöhnen und seine Wut verlieren, von deren beißenden Säften sich seine Entschlossenheit nährte. Dass die Angelegenheit auf eine Heirat hinauslaufen könnte, fürchtete er nicht. Gott sei Dank waren die russischen Gesetze in dieser Beziehung ausgesprochen streng. Eine Orthodoxe durfte keinen »Ungläubigen« heiraten, und dass von Dorn zum griechischen Glauben überträte, darauf könnten die Moskowiter lange warten. Steschka, die würde mit Handkuss zum katholischen Glauben wechseln, aber für so etwas kann man hier glatt auf den Scheiterhaufen kommen. Obwohl, wer weiß? Vielleicht würde sie auch gar nicht für ihr Schwälbchen konvertieren wollen – vielleicht war sie dazu viel zu fromm.
Jedes Mal bevor sie sich mit dem Porutschik ins Bett legte, nahm Steschka ihr Kreuz ab, bat die Gottesmutter um Verzeihung und verdeckte die Ikone mit einem Vorhang – so verlangte es der russische Brauch. Am Tag nach dieser Sünde wagte sie es nicht, die Kirche zu betreten, sie blieb am Eingang stehen und betete, zusammen mit den Buhlerinnen und Ehebrecherinnen. Kinder und Bauerntölpel zeigten mit dem Finger auf solche Frauen und lachten, aber Steschka verbeugte sich nur bis zum Boden und muckte nicht auf. Überhaupt waren die Frauen in Moskowien über die Maßen geduldig.
Sie wurden von ihren Männern geschlagen, eingeschlossen, durften nicht dabei sein, wenn Besuch da war, durften nicht am Tisch sitzen. Es heißt, selbst die Zarin musste, wenn sie die ausländischen Gesandten oder eine Komödie sehen wollte, heimlich durch ein besonderes Gitter gucken – und auch das galt als unerhörte Freizügigkeit.
Wegen Ehebruchs durfte ein Mann seine Frau töten und hatte dafür keine Strafe zu befürchten. Etwas anderes war es, wenn er seine Gattin selbst jemandem zeitweise überließ, weil er eine Schuld nicht bezahlen konnte; dergleichen war nicht untersagt. Und was mit einer Frau passierte, welche die Hand gegen ihren Mann erhoben hatte, das hatte Cornelius ja schon gesehen. Das Moskauer Gericht verhängte schnell eine Strafe, und die Bestrafungen waren entsetzlich, selbst für eine absolute Lappalie.
Ein Schreiber von der Ausländerbehörde, Senjka Kononow (von Dorn hatte bei ihm seinerzeit die Urkunde über das Futtergeld bekommen), hatte aus Versehen einen Buchstaben im Zarentitel ausgelassen. Darauf stand laut Gesetzbuch: Abhacken der rechten Hand bis zum Handgelenk – wie konntest du nur die Ehre des großen Kaisers besudeln! Der Stumpf fing an zu faulen, es kam zu Wundbrand, und so starb der arme Senjka unter Gebrüll und schrecklichen Qualen.
Oder in der besten Kompanie des Regiments, nämlich der ersten, welche die Straßen während der Ausfahrten des Zaren bewachen darf, gab es einen Musketier namens Jaschka Rebrow. Ihm fiel ohne böse Absicht, aus purem Zufall, die Muskete herunter, als er beim Spasski-Tor Wache stand. Es war eine Muskete neuester Konstruktion, mit einem Feuersteinschloss, aus der sich von dem Aufprall auf den Stein ein Schuss löste. Es entstand keinerlei Schaden, die Kugel flog gen Himmel, aber es war trotzdem Landesverrat, in der Nähe Seiner Erlaucht einen Schuss abzugeben. Also übergab man Jaschka, statt ihn für die Unachtsamkeit zu verprügeln oder für drei Tage in den Karzer zu sperren, dem Scharfrichter. Man hackte dem Burschen die rechte Hand und das linke Bein ab; da konnte er sehen, wie er weiterlebte.
Anfangs war Cornelius nur entsetzt über die wahnsinnige Härte der Moskauer
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