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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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wurden gebracht: siebzehn Helme Moosbeerenschnaps. Dafür erhielt Oberst Liebenau Dank von General Baumann und ein Fässchen Moselwein, und Cornelius bekam vom Oberst Liebenau Lob und ein Pfund Tabak.
    Die Soldaten fuchtelten sich gegenseitig mit den Händen vor dem Gesicht herum – der Porutschik hatte befohlen, die Hand einen Werschok vor der Nase zu stoppen. Die Schaulustigen wurden ruhig, sie wollten wissen, was für eine herrliche Unterhaltung sich der Deutsche wieder ausgedacht hatte. Einer aus dem Gesinde des Bojaren trat näher, drehte den Kopf nach links und nach rechts und guckte genau hin.
    Er war russisch gekleidet, hatte aber ein schwarzes Gesicht, und unter der prächtigen Mütze lugten drahtige lockige Haare mit einer grauen Strähne hervor. Die Nase war platt gedrückt, sie sah aus wie eine Kastanie. Ein Mohr also. Wie bei den europäischen, so standen auch bei den russischen Würdenträgern Mohren und Neger hoch im Kurs. Für einen Rabenschwarzen, hieß es, wurden bis zu dreihundert Rubel bezahlt. Diesen hier, der elegant war und einen Krummsäbel an der Seite trug, sah Cornelius nicht zum ersten Mal auf dem Platz, so einer war schwer zu übersehen. Nur früher war er alleine gekommen, während er heute eine ganze Schar mitgebracht hatte, und sogar der Bojar war mitgekommen.
    Aber da entdeckte von Dorn seitlich von der Menge eine stattliche Frauengestalt: schwarzes Kopftuch, himmelblaues Gewand, in der Hand ein weißes Bündel – sofort hatte er den Mohren vergessen.
    Steschka brachte das Essen. Es war also Mittag.
    Steschka trug zwar ein Witwenkopftuch, aber keineswegs ein ärmliches, sondern eins aus kostbarem französischem Samt. Ihr Gewand war aus gutem Tuch, und wenn die Schöße sich öffneten, sah man Sandalen aus Ziegenleder mit roten Saffianstrümpfen. Das Gesicht war weiß gepudert, die Wangen nach Moskauer Mode rot geschminkt, dass sie aussahen wie zwei Äpfelchen. Es machte Freude, Steschka anzusehen, und das Bündel kam auch gerade recht. Es enthielt, wie Cornelius wusste, Piroggen mit Störsehnen und Mohn, einen Krug Bier, ein Stück Hammelfleisch mit Ingwer und ganz bestimmt den körnigen, in Essig gekochten Weißlachs-Kaviar.
    Nach europäischer Vorstellung war jetzt Mittag, nach russischer war es drei Uhr. Die Moskowiter hatten ihre eigene Zeitrechnung, die ganz merkwürdig war. Man ging vom Sonnenaufgang aus, so dass sich der Bezugspunkt alle zwei Wochen änderte. Jetzt, Ende Oktober, hatte der Tag bei den Russen neun Tagesstunden und fünfzehn Nachtstunden. Wenn seit dem Sonnenaufgang drei Stunden vergangen waren, hieß das, es war drei Uhr am Tag.
    Steschka setzte sich gesittet auf einen Holzstamm, strich die Rockfalten glatt und tat so, als blicke sie ihr Schwälbchen (das ist so ein Kosewort in Moskowien, obwohl Cornelius diesem schmalen schwarzen Vogel nicht gerade ähnlich sah) schief an. Die Moskowiterinnen mochten keine Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit, sie schätzten bei Männern Strenge, während sie Galanterie für Charakterschwäche hielten, deshalb hatte von Dorn sich von seiner Geliebten abgewendet. Das Mittagessen musste warten, er hatte jetzt keine Zeit dafür.
    Steschka war für den Porutschik ein außerordentlicher Glücksfall – im Sinne seiner DISPOSITION und in vielerlei anderer Hinsicht. Bevor Steschkas Mann bei einem Brand in der Sauna ums Leben kam, war er in der Deutschen Vorstadt Feuerwehrmann gewesen; er hatte aufpassen müssen, dass die Ausländer kein Feuer machten und die Ofenrohre reinigten. Als die junge Frau Witwe geworden war, blieb sie in Kukuj. Ihr Leben gestaltete sich besser als mit ihrem Mann, weil sie, wie sich herausstellte, eine treffliche Näherin war; sie nähte für die ortsansässigen Weiber Hemden, Blusen, Strümpfe und Tücher aus Batist. Baute sich ein Haus am Rand der Vorstadt: nach russischer Art, aber sauber und hell. Cornelius hatte jetzt Hemden, das eine weißer als das andere, aus feinem holländischen Tuch, mit gestärkten Spitzenkragen, und er bekam immer Essen, Wärme und Zärtlichkeit.
    Bei Steschka zu Hause war es schön. Ein Ofen mit blau-grünen Kacheln, Fenster aus schrägen Glimmerstücken, die lustig gefärbt waren, so dass an Sonnentagen wie in einer katholischen Kathedrale farbige Reflexe über die Wände hüpften. Holzbänke, über die bunte Tücher gebreitet waren, und auf dem Bett eine Federdecke aus Schwanendaunen. Extra für ihren Kornejuschka hatte sich die Hausfrau noch einen geschnitzten deutschen

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