Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
das nicht gewohnt waren, Zugereiste etwa, wie vom Schlag getroffen stehen blieben und sich bekreuzigten.
    Eine gründliche Kenntnis des obszönen Moskauer Wortschatzes brauchte er nicht nur für seinen Dienst in der Truppe, sondern auch, damit die DISPOSITION von Erfolg gekrönt würde. Cornelius lernte deshalb, wie ein Kesselflicker zu fluchen, und zwar so überzeugend, dass die an allerhand gewohnten Bewohner von Kukuj verlegen hüstelten und Steschka mal vor Scham rot wurde, mal lachte. Wartet nur, drohte von Dorn in Gedanken, das ist längst noch nicht alles. Ich werde es noch lernen, mich so in eurer barbarischen Mundart auszudrücken, dass mich keiner anhand meiner Sprache als Deutschen erkennt.
    Auch dass sich der Porutschik eine einheimische Geliebte zugelegt hatte, war, ehrlich gesagt, nicht einfach so, sondern wohl überlegt geschehen. In seinen schmucken Schnurrbart und die zuckerweißen, mit Kreidepulver gewienerten Zähne hatten sich auch das Dienstmädchen Lieschen aus dem »Storchen« und die Stickerin Molly Jenkins verguckt, doch er hatte Steschka vorgezogen. Warum? Außer den oben angeführten Gründen auch noch deswegen, weil sie, wenn sie sich trafen, die Hälfte der Zeit zum Lernen verwandten: Wie heißt das und das, wie sagt man das und das, wie ist die richtige Aussprache von Paschtschennok?
    Abends, wenn er im Pferdestall auf einen Sack mit Stroh sprang und von verschiedenen Ausgangspositionen aus mit dem Degen in ihn stach (diese Übung muss man täglich machen, will man Gelenkigkeit und Kondition nicht verlieren), stellte sich von Dorn vor, wie er all diese vielen niederträchtigen Moskowiter zur Strecke bringt, und sagte zu seinen Feinden:
    »Denkt ihr, ihr habt mich für immer in eurem scheußlichen Sumpf begraben? Habt mich in den Sarg gelegt, ihn zugenagelt und ihn mit feuchter russischer Erde bestreut? Wir Europäer sind für euch schwachsinnige, sprachlose Missgeburten, Nemzy, das heißt: Stumme oder Deutsche, die man auf eine Werst erkennen kann? Ihr sagt, das habe es noch nicht gegeben, dass ein Ausländer aus Moskau zurück nach Europa geflohen sei? Wer es versucht habe, den hätten sie schnell ab gefangen, mit Stöcken geschlagen, ihm die Nasenflügel ausgerissen und ihn nach Sibirien geschickt. Von wegen, ihr langbärtigen Böcke, ein solcher Deutscher wie Cornelius von Dorn ist euch noch nicht untergekommen. Ich gehe weg, ich laufe euch weg, verdammter Scheibenkleister! Ich hole mir meine Freiheit zurück, werde reich und rechne mit dem Beleidiger ab. Wie du mir, so ich dir.«
    Die DISPOSITION, die sich Cornelius zurechtgelegt hatte, sah folgendermaßen aus:
    Er wollte in einem Jahr, bis zum nächsten Sommer, die russische Sprache so perfekt beherrschen, dass man ihn nicht mehr als Ausländer erkennen würde. Moskauer Kleidung hatte er sich schon angeschafft: einen Kaftan, eine spitz zulaufende Mütze, Stiefel aus Juchtenleder. Bald würde es Zeit, sich einen Bart wachsen zu lassen, in zwei, drei Monaten.
    Der Hauptpunkt der DISPOSITION bestand darin, nicht wie ein geprügelter Hund aus Moskau abzuziehen, d. h. nicht mit leeren Händen, sondern nachdem er Beute gemacht und sich volle seelische Satisfaktion verschafft hätte.
    Am Tag, da der Amtsschreiber der Ausländerbehörde Fedja Lykow, der an allen Beleidigungen und Kränkungen schuld war, aus irgendeinem Grund im Amt in festlicher Aufmachung erscheinen würde, d.h. im staatlichen Zarenkaftan aus der Rüstkammer, wollte er dem Bestechlichen in einem stillen Winkel, von denen es im Kreml eine Vielzahl gab, auflauern. Ihm einen Schlag gegen die Stirn versetzen, so dass er zusammensackte. Und ihm den Kaftan mit den Goldfäden, dem Perlkragen und den Rubinknöpfen sowie die Zobelmütze mit der Diamantbrosche ausziehen. Das wäre dann die Entschädigung für den Hauptmannsrang, den er ihm genommen hatte, für den vorenthaltenen Sold und das gestohlene Umzugsgeld. Nebst hohen Zinsen.
    Das würde reichen, um eine passende Wohnstatt für den Wecker des Vaters zu finden, und es bliebe noch etwas übrig für den Bruder Klaus, damit er Theofels wieder herrichten könne. Aber am angenehmsten war, dass man den scheußlichen Fedja wegen des Verlustes von Zareneigentum so lange mit Stockschlägen traktieren würde, bis er auch die letzte Kopeke erstattet hätte. Dieser Hurensohn, der soll noch an Kornejka Fondorin denken!
    An seinen nach hiesigen Sitten umgemodelten Namen hatte der Porutschik sich nicht sofort gewöhnen können. »Cornelius

Weitere Kostenlose Bücher