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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ergreift die erstbeste Gelegenheit, und begebt Euch in Kriegsgefangenschaft, dann könnt Ihr Euch aus der Moskauer Sklaverei befreien.
    Aber von Dorn war es nicht gewohnt, seinen Sold, und wenn es auch nur die Hälfte davon war, umsonst zu beziehen. Die Hauptsache aber war, dass Cornelius mit der Zeit sorgfältig einen Plan ausgetüftelt hatte, den er DISPOSITION nannte, und dieser Plan sah vor, der Porutschik der dritten Kompanie müsse in seinem Dienst absolut vorbildlich sein.
    Er packte das Übel bei der Wurzel und brachte den Hauptmann zur Räson, denn mit einem solchen Kommandeur war nicht an Ordnung in der Kompanie zu denken. Cornelius hatte seine Lektion am ersten Tag in Moskau gut gelernt: Man kann in diesem Land machen, was man will, es darf nur keine Zeugen geben. Gut, dann musste es also ohne sie gehen.
    Er passte Owsej Tworogow am frühen Morgen ab, noch bevor dieser vom Alkohol benebelt war, und zeigte ihm, wo es langgeht. Aus tiefster Seele und mit Köpfchen. Damit keine blauen Flecken und Schrammen entstanden, schlug er ihn mit einem Strumpf, in den er nassen Sand gefüllt hatte. Zu schreien verbot er ihm, indem er drohte, er werde ihn umbringen, und Owsej schrie wirklich nicht, sondern ertrug alles. Auch davon, sich zu beschweren, riet ihm Cornelius ab. Er gab ihm mit Gesten zu verstehen (Russisch konnte er damals noch fast gar nicht): Jeder Soldat bringt dich Dieb für einen halben Rubel mit bloßen Händen um, da genügt ein einziges Wörtchen.
    Tworogow war zwar ein Säufer, aber kein Dummkopf – und verstand also. Von diesem Tag an wurde er ruhig, friedlich, schimpfte nicht mehr und schikanierte die Soldaten nicht. Er ließ sich gleich am frühen Morgen so voll laufen, dass er den ganzen Tag wie ein Holzklotz in der Kammer lag.
    Cornelius stellte einen Offiziersburschen für ihn ab, einen Esten, der nicht trank und der sich um Tworogow zu kümmern hatte: Er passte auf, dass er nicht an der Kotze erstickte und nicht nach draußen ging. Sobald der Hauptmann einen Muckser tat und mit den Augen blinzelte, flößte der Este ihm ein Gläschen ein, und Owsej war still. So ging es sowohl ihm als auch den Soldaten gut.
    Das Kommando über die Kompanie aber übernahm von Dorn selbst.
    ***
    »Abzählen: Erster, Zweiter!« Der Porutschik klopfte mit dem Stock im Takt: »Erster, Zweiter, Erster, Zweiter! Der Erste: einen Schritt vortreten! Kehrt! Panzer ablegen!«
    Cornelius schritt zwischen zwei einander gegenüberstehenden Reihen hindurch, um sich einen Partner auszusuchen: Er wollte einen Trick beim Zweikampf zeigen. Er wählte Jepischka Smurow, einen baumlangen, schwerfälligen Kerl, um ihnen die Vorteile einer klugen Kampftechnik möglichst genau vor Augen zu führen.
    »Soldaten, aufgepasst! Ich zeige das nicht noch mal. Jepischka, gib mir eins in die Fresse!«
    Befehl ist Befehl. Jepischka krempelte die Ärmel auf und holte in aller Ruhe aus, um dem Porutschik einen Schlag zu verpassen, der ihn seitlich wegfliegen lässt.
    Cornelius bückte sich flink, so dass der schreckliche Schlag über ihn hinwegfegte, und als die ausgestreckte Faust den Soldaten mit sich zog, schubste er Jepischka leicht an der rechten Schulter und stellte ihm ein Bein.
    Der Riese fiel mit eisernem Gesicht der Länge nach zu Boden, woraufhin sich der Porutschik auf seinen Rücken setzte und ihn an den Haaren zog. Die Menge grölte erfreut – Übungen im In-die-Fresse-Schlagen erfreuten sich bei den Zuschauern besonderer Beliebtheit.
    »Jasno? Der Erste schlägt, der Zweite wirft. Dawai!«
    Die Soldaten fingen mit Begeisterung an, sich zu prügeln. Von Dorn ging zwischen ihnen hindurch, korrigierte, machte vor. Dann brachte er der Kompanie noch einen nützlichen und einfachen Trick bei, nämlich wie man einen Feind überrumpelt, der mit keinem Angriff rechnet. Man haut ihm von unten mit der Handkante gegen die Nasenspitze, dann wird der Gegner sofort blind, verliert den Kopf, und du kannst mit ihm machen, was du willst.
    Vor drei Tagen hatten sich die Soldaten wie üblich mit den Strelitzen geschlagen. Ohne dass Säbel und Messer blankgezogen wurden, damit ging man in Moskau streng um – du kannst sofort an den Galgen kommen, die klären erst gar nicht, wer Recht hat und wer nicht. Früher hatten bei gleicher Zahlenstärke immer die Strelitzen im Faustkampf den Sieg davongetragen – sie hielten besser zusammen und waren im Kämpfen geübter, aber nun hatten zum ersten Mal von Dorns Soldaten die Oberhand gewonnen. Die Prämien

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