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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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von Dorn« auszusprechen, war den Russen unmöglich. Er reagierte jetzt sowohl auf die Anrede Kornej Fondornow wie auf Kornejka Fondorin. Das machte nichts. Es war ja ein Ende seiner Leiden abzusehen.
    Zum Abschluss, bevor er zum Mittagessen zu Steschka ging, hatte Cornelius die wichtigste heutige Übung angesetzt: Feuerkampf der formierten Kompanie. Dieses Schlachten-Kunststück war seine eigene Erfindung, und er war besonders stolz darauf.
    Am Anfang war kaum einer der russischen Musketiere im Stande gewesen zu schießen. Bevor von Dorn Porutschik wurde, konnten die Soldaten überhaupt nicht schießen, sei es, weil das Gewehr nicht funktionierte, sei es, dass es keine Munition gab. Als Cornelius, nachdem er den Hauptmann Owsejko losgeworden war und die Musketen mehr oder weniger in Ordnung gebracht hatte, zum ersten Mal mit der Kompanie auf den Schießplatz ging, war das eine Katastrophe. Bevor sie den Abzug betätigten, bekreuzigten sich die Musketiere und kniffen die Augen zusammen, zwei vergaßen den Ladestock im Lauf (was er selber übersehen hatte), wodurch der eine ein Auge verlor, dem anderen die Finger abgerissen wurden. Die Verstümmelungen hatten zwar kein Nachspiel für den Porutschik, so etwas war im moskowitischen Heer an der Tagesordnung, aber er musste sich jeden Soldaten einzeln vornehmen und ihm das Schießen beibringen. Dagegen hätte er jetzt in die Armee des Prince de Condé gehen können, er brauchte sich nicht für die Kompanie zu schämen.
    Die Ziele ließ von Dorn an der Wand eines ausrangierten Kornspeichers in den Boden rammen: hundert armdicke Stangen, das sollten die türkischen Janitscharen sein.
    Auf das Kommando »Kompanie, Schießen« rannten die Soldaten los, stellten sich in vier Reihen auf, jeder hatte einen festen Platz. In der ersten Reihe standen die besten Schützen, hinter ihnen, in ihrem Nacken, die Lader.
    Der Bojar auf dem Pferd kam dichter herangeritten und stellte sich neben den Mohren. Jetzt konnte man auch sein Gesicht sehen: scharfe, markante Züge, eine gebogene Nase, grauer Bart, aber schwarze Augenbrauen. Alles deutete darauf hin, dass es sich um einen einflussreichen Mann handelte.
    Cornelius spähte nach dem Magnaten. Sollte er sich verbeugen und die Mütze ziehen oder nicht? Die Militärordnung schrieb das bei Gefechtsübungen nicht vor. Wenn es nicht vorgeschrieben war, dann eben nicht.
    Er wandte sich ab und dirigierte mit dem Stock:
    »Feuer!«
    An der Aufstellung von Dorns war gut, dass keine weiteren Befehle vom Kommandeur mehr gebraucht wurden. Geschossen wurde nicht in Salven, sondern frei, je nach Treffsicherheit. Wenn einer geschossen hatte, reichte ihm sein Hintermann schon die nächste geladene Muskete, und so ging das ununterbrochen weiter. In einer Minute schaffte ein Musketier aus der ersten Reihe bis zu vier Schüssen, und zwar nichts ins Blaue, wie in allen anderen Armeen, sondern mit Sinn und Verstand.
    Um vor dem Bojaren und den anderen Zuschauern anzugeben, setzte sich Cornelius auf die Trommel, schlug die Beine übereinander und zündete sich sogar eine Pfeife an. Donner, Rauch, von den Stangen fliegen die Späne, derweil der Kommandeur die Däumchen drückt und demonstriert: Das läuft doch wie geschmiert.
    In weniger als drei Minuten waren von den hundert nur fünfzehn Ziele übrig, die nicht etliche Male getroffen worden waren. Drohend hatten die Janitscharen gestanden, nun lagen sie alle am Boden.
    Cornelius blies in eine Tonpfeife, die trotz der Schießerei zu hören war. Die Musketiere standen sofort Gewehr bei Fuß.
    »Bajonette!«, schrie von Dorn. Die Soldaten setzten lange Bajonette auf die Gewehre.
    »Auf zum Angriff, marsch, marsch!«
    Und Cornelius legte blitzschnell die nicht zu Ende gerauchte Pfeife beiseite, zog den Degen aus der Scheide und stürmte vorwärts.
    »Hurra!«
    In Windeseile jagte die Kompanie die letzten sprachlosen Türken zum Teufel.
    Als von Dorn die in Hitze geratenen Soldaten mit ihren vom Pulverrauch schwarzen Gesichtern wieder Aufstellung nehmen ließ, fasste ihn jemand von hinten an der Schulter.
    Der Mohr von vorhin, mit einem Gesicht, das noch schwärzer war als das der Musketiere, sagte auf Russisch (Cornelius beneidete ihn wegen seiner reinen Aussprache und erfasste erst später den Sinn):
    »Komm mit. Bring deinen Hut in Ordnung und komm. Matfejew, der erste Bojar des Zaren, wünscht mit dir zu sprechen.«
    Von Dorn fiel der Stock aus der Hand, er brachte hastig seinen Hut in Ordnung. Ach, der ist

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