Die Bibliothek des Zaren
sicherer, als Killer auf seinen Konkurrenten anzusetzen, ist es jetzt, wenn man Anwälte und Abgeordnete auf ihn hetzt. Im Großen und Ganzen eine erfreuliche Entwicklung. Sosso ist klug, er hat ein Näschen. Er ist inzwischen ein vorbildliches Glied der Gesellschaft, da könnte man glatt Tränen vor Rührung vergießen: Vorstandsvorsitzender bei der ›Eurodebet‹-Bank, Sponsor von Kulturereignissen, Freund junger Sportler; er unterstützt Waisenkinder und alte Frauen, ohne den Metropoliten und ein paar Protopopen setzt er sich nicht zu Tisch und verspeist seine georgischen roten Bohnen. Kurz: ein ideales Objekt für einen Artikel mit der Überschrift ›Wie der Herrgott den grimmigen Räuber bekehrtem Aber, bevor Kusma diese Volksballade auf seinem ›Macintosh‹ verfasst, muss ich nachprüfen, ob Sosso wirklich eine so saubere Weste hat und ein so weicher Mensch geworden ist, ob er überhaupt für unsere Ehrentafel taugt, oder ob man besser einen anderen auswählt. Das ist meine Aufgabe.«
Nicholas blickte respektvoll auf Altyn. Dieser Liliputanerin traute man also eine Arbeit zu, mit der nur ein sehr erfahrener Reporter fertig wurde.
»Aber das ist doch eine enorm schwierige Aufgabe. Und auch nicht ungefährlich, oder?«
Altyn zuckte lässig mit den Achseln und sagte:
»Eine kleine Frau kann sich nicht mit einer kleinen Beute zufrieden geben.«
Fandorin versuchte zu schätzen, wie groß sie war. Fünf Feet, nicht mehr.
»Wie groß sind Sie? Anderthalb Meter?«
»Größer«, sagte sie souverän. »Ich bin um einen ganzen Zentimeter größer als anderthalb Meter. Was unterbrichst du mich denn die ganze Zeit? Ich habe doch gesagt: Sperr die Ohren auf, und rühr dich nicht.«
»Ja, Verzeihung, reden Sie nur weiter.«
»Da bin ich also losgerannt und habe nachgeforscht und Erkundigungen eingezogen. Habe mich mit verschiedenen Leuten unterhalten. Es sieht so aus, als ob alles sauber ist, keine Leichen im Keller. Mit Ausnahme von ein paar mäßigen Tricksereien mit staatlichen Geldern, was bei uns aber als nicht besonders ehrenrührig gilt, liegt das Bankgeschäft im Bereich des Üblichen. Gut, einige undurchsichtige Transaktionen gibt es, aber auch das hält sich in Grenzen. Sosso hat sich jetzt wegen der Ausschreibung der Mehrheitsanteile von ›Westciboyle‹ mächtig ins Zeug gelegt. Kein Wunder, das ist ein fetter Brocken, da läuft vielen das Wasser im Mund zusammen. Und natürlich blufft er in diesem Zusammenhang, greift zu nanaischen Wrestling-Methoden und stellt Konkurrenten ein Bein; aber nichts, was wirklich kriminell wäre. Geschäfte, die ein bisschen schmutzig sind, wie es in der Epoche des unentwickelten Kapitalismus nicht anders sein kann. Ich wollte Kusma schon grünes Licht geben. Okay, leg los und schreib. Und plötzlich macht es wie aus heiterem Himmel: Peng! Ich stieß auf etwas sehr Interessantes.« Altyn legte eine bedeutungsvolle Pause ein und flüsterte erregt: »Unser georgischer Mönch hat zwei SDs!«
»Wie zwei SDs?«, fragte Nicholas ahnungslos. »Was ist ein SD?«
»Sicherheitsdienst.«
»Wofür braucht der Vorstandsvorsitzende einer Bank einen Sicherheitsdienst? Das ist doch eine Gesellschaft wie jede andere auch und kein Unternehmen der Militärindustrie.«
»Nun, einen Sicherheitsdienst hat jede Bank, die nur ein bisschen mithalten will, das ist bei uns in Russland nun mal so. Auch die ›Eurodebet‹ hat einen Sicherheitsdienst. Da ist alles, wie es sich gehört: Der Chef ist ein früherer KGB-Oberst, die Jungs laufen in ordentlichen Anzügen herum, haben ihre Spezialausrüstung, einen Waffenschein – alles in Butter. Der Hammer ist, dass der Große Sosso noch einen zweiten Sicherheitsdienst hat.« Die Journalistin ereiferte sich zusehends und fuhr fort: »Und der ist so supergeheim, dass selbst Sergejew nichts davon weiß!«
»Wer?«
»Sergejew, das ist der KGB-Mann, der für die Sicherheit der Bank verantwortlich ist. Von dem zweiten SD in der ›Eurodebet‹ weiß wirklich absolut kein Schwein etwas außer Sosso. Wofür spricht das?«
Fandorin dachte nach und sagte:
»Das spricht dafür, dass er krumme Dinger macht. Vielleicht hat Herr Sosso doch nicht mit seiner kriminellen Vergangenheit gebrochen und die Verbindungen aufrechterhalten, die er für unsaubere Machenschaften braucht.«
»Das ist auch meine Vermutung. Wenn sie stimmt, dann ist der offizielle Sicherheitsdienst wahrscheinlich nur ein Deckmantel. Und dann hat Sosso seine eigene ›Schwadron‹, wenn er
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