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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Die ›Eurodebet‹-Bank? Sagt dir nichts. ›Westciboyle‹? Sagt dir auch nichts. Wo ist denn dann der Knackpunkt? Ich raff das nicht. . . Doch nicht der Bojar Matfejew?«
    Nicholas fühlte, dass seine Geduld erschöpft war. Wie lange kann man es denn aushalten, dass sich jemand über einen lustig macht? Mal schmeißt ihn jemand vom Dach, mal schießt jemand auf ihn, mal lauert ihm einer mit einem Messer auf, mal redet einer mit ihm wie mit einem Debilen. Es reicht, enough is enough oder, wie die neuen Russen sagen: chorosch.
    »Ich danke Ihnen noch einmal für Ihre Hilfe«, sagte der Magister gekünstelt, während er aufstand, »und für den ausgezeichneten Kaffee. Ich sehe, dass ich von Ihnen keinerlei Erklärungen bekommen werde. Ich muss das geraubte Schriftstück wiederfinden. Sagen Sie bitte, wie komme ich von hier zum Stadtzentrum?«
    »In fünfzig Minuten bist du mit dem 672er an der U-Bahn-Station Sawelowskaja«, antwortete ihm Altyn Mamajewa im selben Ton. »Nur abends fährt der Bus selten. Und außerdem, willst du Schwarzfahren? Du hast doch null Piepen, wie du selbst gesagt hast.«
    Als ihm seine Hilflosigkeit klar wurde, sank Nicholas auf den Hocker zurück. Da setzte sich die Liliputanerin auf den Küchentisch, wippte mit ihren in weißen Tennisschuhen steckenden Puppenfüßchen und erklärte:
    »Jetzt rede ich, und du sperrst die Ohren auf, kapiert?«
    »Was?«
    »Halt den Mund und hör zu. Kennst du die Zeitschrift Teleskop?«
    »Ja, das ist eine Illustrierte. So etwas Ähnliches wie die Times? Unsere Universitätsbibliothek hat sie abonniert, ich gucke sie mir manchmal an.«
    »Also, bei dieser Zeitschrift arbeite ich als Scout. Das ist so ein Ressort in der Redaktion. Wenn ein großer Artikel oder ein Dossier zu einem Thema vorbereitet wird, dann sammeln und prüfen wir Scouts die Informationen. Damit die Zeitschrift sich nicht in die Nesseln setzt und hinterher vors Gericht zitiert wird. Kapiert?«
    Ja, Fandorin begann nun etwas zu verstehen. Ja klar, Altyn Mamajewa war Journalistin, wieso hatte er das nicht gleich erraten? Der prüfende Blick, ihre Angriffslust und die Art zu reden. Außerdem hatte der Magister auf dem Rücksitz des Autos eine Canon mit einem soliden Objektiv gesehen.
    »Unser Chefredakteur plant ein Sonderheft zum Thema Legalisierung der Schattenökonomie‹. Es geht um den Übergang vom anfänglichen Wildwest-Kapitalismus hin zu einem quasi normalen Stadium. Überhaupt ist es ein besonderes Interesse unserer Zeitschrift, den Prozess der Einbindung Russlands in die zivilisierte Welt genauer zu beleuchten. Wir stürzen uns nicht auf die wunden Punkte in unserer Gesellschaft und streuen keine Asche auf unser Haupt, sondern konzentrieren uns auf das Positive. Damit die Leute die Zeitschrift lesen und denken: Das Leben ist besser und fröhlicher geworden.«
    »Das finde ich richtig«, lobte Nicholas, »die meisten Ihrer Zeitungen und Zeitschriften haben einen ausgeprägten Hang zum Masochismus.«
    »Das findet Kusma Swischtsch auch.«
    »Kusma Swischtsch, der Kolumnist Ihrer Zeitschrift?«
    »Ja, unser Superstar. Zwei Bucks pro Zeile. Er soll das Porträt eines wichtigen russischen Unternehmers zeichnen, der früher dunkle Geschäfte getrieben hat und heute sauber ist.«
    »Gut, und was habe ich damit zu tun?«
    »Warte mal, Engländer. Mach nicht die Pferde scheu. Ich erkläre erst mal, was ich damit zu tun habe, und dann kommen wir zu dir. Also, wenn der Writer ›Los!‹ sagt, dann nimmt der Scout die Beine in die Hand und stürzt sich in den Kampf.«
    »Und was macht der Writer?«
    »Erst mal gar nichts. Wir haben eine ganz klare Arbeitsteilung. Zu den Pflichten des Writers gehört. . . Aber das kann dir eigentlich wurscht sein. Das tut nichts zur Sache. Wichtig ist, dass mein Writer Kusma sich Sosso Gabunija als Musterknaben auserkoren hat. Er soll auf Herz und Nieren geprüft werden.«
    »Sosso?«, wiederholte Fandorin. »Ist das der, nach dem Sie mich gefragt haben?«
    »Ja. Der Große Sosso war zuerst ein Gangsterboss, ein richtig schwerer Junge, so ein georgischer Pate. Dann stieg er in die Welt des Business ein, natürlich, um Kohle zu machen. Seine Geschäfte liefen auf einmal so hervorragend, dass er die kriminellen Machenschaften gar nicht mehr brauchte – er scheffelte auch so ein Heidengeld. Und überhaupt, die Zeiten ändern sich. Die Epoche der Ganoven geht zu Ende. Die einen sind umgelegt worden, die Klügeren orientieren sich von allein um. Einträglicher und

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