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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ein Zahn wackelt. Ich muss mich kurieren.«
    Nicholas fragte verwundert:
    »Aber das ist doch keine Klinik.«
    »Dieser Laden gehört mir, Kolja, und es gibt hier alles: ein Restaurant, eine Bar, Zimmer, und wenn es sein muss, auch eine Klinik. Außerdem heißt auf Russisch sich kurieren, einen Schluck Wodka trinken.«
    »Ich trinke keinen Alkohol. Überhaupt nicht.«
    »Wer trinkt denn hier?«, sagte Wlad beim Aussteigen beleidigt. »Wir setzen uns hin und machen uns näher bekannt. Gedenken des teuren Verstorbenen.«
    ***
    Das Restaurant bekam Nicholas gar nicht zu sehen. Auf der Treppe, die von der Garderobe zum zweiten Stock führte, kam ihnen eine sehr schöne Blondine in einem strengen eleganten Kostüm entgegen, offenbar eine Kellnerin oder Oberkellnerin.
    »Guten Tag, Wladik«, sagte sie mit tiefer Stimme und strahlte charmant.
    »Grüß dich, Sina.« Solowjow betrachtete die Bedienstete mit sichtlichem Vergnügen. »Gib uns einen separaten Raum. Bereite alles für uns vor, und sorg dafür, dass wir nicht gestört werden. Okay?«
    »Gut, Wladik«, flötete die Schöne. »Dann bediene ich selbst. Wollt ihr richtig essen oder nur einen Imbiss zu euch nehmen?«
    »Trag alles auf, was du hergeben kannst. Wir entscheiden dann spontan.«
    Dem Tisch nach zu urteilen, der in einem separaten Zimmer gedeckt war, sparte Sina für Wladik an nichts. In fünf Minuten war der lange, für zwei gedeckte Tisch mit Karaffen und Vorspeisen voll gestellt, unter denen Nicholas besonders der Stör in Aspik mit seinem Stachelrücken aus dem Mesozoikum beeindruckte. Und die drei riesigen Kübel mit Kaviar vom Hausen, Sternhausen und Stör hätten im »Caviar House« am Piccadilly sicher mehrere tausend Pfund gekostet. Nicholas fiel ein, dass er das letzte Mal gestern Morgen richtig gegessen hatte, im Hotelrestaurant (Orangensaft, Käseomelett, Toast). Sein Magen erbebte in kurzen, wollüstigen Krämpfen, und der Speichel lief ihm unaufhaltsam im Mund zusammen.
    Sina baute vor Solowjow eine seltsame Phalanx von Kristallgläsern auf, von denen jedes bis zum Rand mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.
    »Ich trinke nicht zweimal aus demselben Glas«, erklärte Wlad. »Das ist so ein Fimmel von mir. Folge einer schweren Kindheit. Als Junge habe ich so viel Wodka aus im Kreis herumgereichten Flaschen getrunken, dass ich jetzt strikt fürs Individuelle bin . . . Was sitzt du so steif da? Die erste Runde trinken wir darauf, dass wir hier sitzen und nicht liegen, obwohl das durchaus hätte sein können.«
    Darauf musste man allerdings wirklich trinken! Umso mehr als Fandorin bereits gestern unbedingt hätte tot daliegen müssen: vom Dach des Archivs gefallen, hätte er eigentlich nie wieder aufstehen sollen.
    »Mach schon, Botaniker, trink«, trieb ihn Solowjow an. »Das ist auch für die Nerven unbedingt nötig.«
    Mit einem kurzen, gierigen Ruck kippte er sich den Inhalt des Glases in die Kehle, und Nicholas blieb nichts anderes übrig, als dem Beispiel seines Gastgebers zu folgen.
    Es geschah nichts Schreckliches. Ganz im Gegenteil: Ihm wurde warm und leicht ums Herz. Und als der Magister dann gesalzene Pilze, Sülze und Gänseleberpastete gegessen hatte, kamen die traumatisierten Nerven tatsächlich zur Ruhe.
    »Auf das Treffen von zwei interessanten Leuten, die sich gefunden haben wie die Kugel das Loch«, sagte Wlad. »Los, los, sonst gibt es einen Stau. Den Verkehr reguliere ich hier. Richtig, und hinterher eine Gurke . . . Jetzt noch eine Runde, dazu etwas essen – und stopp. Während Sina das warme Essen serviert, sorge ich für dein Quartier.«
    Es stellte sich heraus, dass sich direkt hinter einer Biegung des Flurs ein luxuriös ausgestattetes Zimmer befand, nicht schlechter als in einem Fünfsternehotel.
    »Du musst nicht meinen, ich brächte Frauen hierher. Du siehst ja, hier steht ein Schreibtisch und ein Mammut-Computer. Manchmal bin ich zu faul, nach Shukowka rauszufahren. Dann leb ich hier einen Tag oder zwei. Und so machst du das auch. Morgen wird klar sein, ob dich die Feuerwehr und die Miliz suchen oder nicht. Den Aktenkoffer lass ruhig hier, den nimmt keiner weg.«
    »Wieso denn die Feuerwehr?«, fragte Fandorin, der so tat, als habe er das mit dem Aktenkoffer nicht gehört. Nach dem zweimaligen Verlust des sakrosankten Aktenkoffers wollte er ihn nicht eine Minute aus den Augen lassen.
    »Ich habe vergessen, dass du kein Sowjetmensch bist«, sagte Wlad und winkte ab. »Du redest zu gut Russisch. Die

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