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Die Bibliothek des Zaren

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Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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eingehandelt mit dir!«
    ***
    An der ersten Ampel streckte Solowjow ihm die Hand entgegen und sagte:
    »Beginnen wir die offizielle Vorstellungszeremonie. Mein Name ist Wlad Solowjow.«
    Fandorin kam ins Stottern, als er sich vorstellte:
    »Niko. . . Nikolai Fandorin.«
    »Du bist ein interessanter Mann, Kolja. Ich ziehe interessante Leute einfach magnetisch an, ich kann mich nicht retten vor ihnen. Und reg dich mal nicht gleich auf, das ist nicht an deine Adresse gerichtet, sondern an die des Herrgotts. Entschuldige meine maßlose Neugier, aber wen haben wir beide denn nun eigentlich um die Ecke gebracht?« Er bedachte das kreidebleiche Gesicht des Magisters der Geschichte mit einem Seitenblick. »Dem Aussehen und Verhalten nach bist du kein Geschäftsmann. In der Sprache der Ganoven und Bullen ausgedrückt: Du bist ein reiner Botaniker. Sag mir mal, du Botaniker Kolja, wie kommt es, dass abgebrühte Gangster mit dreiundneunziger Berettas hinter dir her sind?«
    Er hätte liebend gern diesem kühnen Heißsporn alles erzählt, zumal die Dankespflicht es auch nicht erlaubte, Geheimnisse vor ihm zu haben. Andererseits wäre es unverantwortlich, einen Fremden in seine trübseligen Angelegenheiten hineinzuziehen. Wlad hatte sich ohnehin schon genug mit ihm eingehandelt. Der schreckliche Schurik war tot, aber Altyn hatte gesagt, er müsse eigentlich bei jemand in festen Diensten stehen . . .
    Solowjow wartete eine halbe Minute und zuckte dann mit den Achseln:
    »Wenn du nicht willst, sag’s nicht. Da hast du das Recht zu. Du hast mir das Leben gerettet, Kolja. Wenn du diesen Horrortyp nicht abgeknallt hättest, hätte er mir mit Sicherheit das Gas abgedreht.«
    »Wissen Sie«, setzte Fandorin aufgeregt an, »weißt du, Wlad, ich bin nicht sicher, dass ich das Recht habe, dich in diese Geschichte hineinzuziehen . . . Sie ist so undurchsichtig und verwickelt. Ich würde sogar sagen: so geheimnisvoll. Und sehr gefährlich.«
    »Gefährlich, hol‘s der Teufel, das ist nicht weiter schlimm. Aber fremde Geheimnisse mag ich nicht«, sagte Wlad, die Stirn runzelnd. »Ich habe genug mit meinen eigenen zu tun. Warum musst du eigentlich nach Scheremetjewo? Willst du dich aus Russland ins sonnige Antalya oder ins gastfreundliche Tschechien absetzen? Hast du die Schnauze voll von deinen Kumpels und musst dich mal von denen erholen? Das versteh ich, Kolja, besonders wenn sie alle so sind wie dieser Señor. Vielleicht hast du Probleme? Ich helf dir. Wie man so sagt: Wie du mir, so ich ihr.« Er lachte kurz auf und fuhr dann ernst fort: »Brauchst du einen Pass oder ein Visum, kein Problem. Das erledige ich in vierundzwanzig Stunden. Selbst wenn du nach Neuseeland willst.«
    »Danke, das ist nicht nötig. Papiere habe ich.« Nicholas holte seinen Pass aus der Tasche und zeigte ihn.
    Wlad schlug das rotgoldene Büchlein auf und pfiff erstaunt, als er hineinschaute.
    »Dann bist du also doch ein richtiger Brite. Na, das ist ja was. Trotzdem solltest du mit Scheremetjewo lieber ein bisschen warten, Kolja. Bist du dir sicher, dass uns keiner gesehen hat, als wir rechtswidrig gehandelt haben? Dass nicht irgendein Onkel neugierig durch einen Schlitz in der Garage gespäht hat, dass nicht irgendeine Alte, die gerade leere Flaschen eingesammelt hat, oder ein Alkoholiker, der in den Büschen gepinkelt hat, etwas mitgekriegt hat? Mit deiner Basketball-Länge bist du ein Typ, der leicht auffällt. Unsere Miliz ist zwar nicht Scotland Yard, aber wenn ein Onkel Stjopa ausländischen Aussehens, mit grünlichen Streifen auf den Wangen und debilem Gesichtsausdruck gesucht wird, dann schnappen sie dich in null Komma nichts. Halt dich ein, zwei Tage ruhig, dann kläre ich derweil, ob nach dir gefahndet wird. Wenn du nirgendwo untertauchen kannst, ersuche Wladik um politisches Asyl. Ich helf dir aus der Patsche. Los, Kolja, egal, was für eine Musik du bestellst, Wlad Solowjow ist dabei. Für unseren Freund aus dem sonnigen Albion erklingt jetzt das patriotische Lied ›Was soll mir die türkische Küste‹«.
    Und er fing wirklich mit einer schönen, klangvollen Stimme an zu singen:
    Doch ich bleib da mit Wonne
    In meinem Heimatland
    Was soll mir fremde Sonne,
    Was soll mir Englands Strand!
    Gerührt und beeindruckt schwieg Fandorin. In seinem Kopf spielte sich in etwa Folgendes ab:
    Die Worte Dostojewskis von der allumfassenden Anteilnahme der russischen Seele hatten eine große, unbestreitbare Wahrheit. Man brauchte nur diesen Wlad zu nehmen – ein

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