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Die Bibliothek des Zaren

Die Bibliothek des Zaren

Titel: Die Bibliothek des Zaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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allein lassen. Man darf nicht kneifen und nicht zurückweichen, genauso wie Wlad das nicht tut. Wie sollte Nicholas weiterleben, wie sollte er sich als vollwertiger Mensch fühlen und sich achten, wenn er auf dieses Geheimnis verzichtet, wenn er das erste echte Geschenk, das ihm das Schicksal anbot, ausschlug?
    Vom Ansturm der Gefühle überwältigt, sagte Nicholas leise:
    »Ja, Wlad. Es gibt bei uns Entdeckungen. Und was für welche. Du wirst dich wundern, was ich dir jetzt erzähle . . .«
    Er beugte sich vor, um seinem Freund von Cornelius’ Testament, von der Liberey und dem Bojaren Matfejew zu erzählen, aber da kam Sina, hob eine Serviette vom Boden auf, entfernte vorsichtig ein bisschen Schnittlauch, der auf Wlads Schulter gelandet war, und ging wieder lautlos.
    »Wladik, sie ist in dich verliebt«, sagte Nicholas in lautem Flüsterton, als die Schöne gegangen war. »Bestimmt. Hast du gesehen, wie sie dich anguckt? Das hat nichts damit zu tun, dass du viel Geld hast. Glaub mir, sie himmelt dich an.«
    Solowjow drehte sich interessiert zur Tür.
    »Wer, Sina? Ist das dein Ernst? Weißt du, Kolja, ich hab ein Prinzip; keinerlei Techtelmechtel mit dem Personal, sonst kann man nicht arbeiten, da entsteht ein Chaos. Sina ist hier Administrator. Sie ist tüchtig, ich wollte sie im Casino einsetzen. Ein tolles Weib. Glaubst du wirklich, sie ist. . . ?«
    Nicholas legte die Hand auf seine Brust und schloss verzückt die Augen.
    »Das ist doch wohl klar wie Kloßbrühe! Du bist ein Glückspilz, Wlad. Hast Geld wie Heu und wirst von schönen Frauen geliebt.«
    »Das stimmt«, pflichtete ihm der Generaldirektor der »Tschornaja-Gora«-Holdung bei. »Und weißt du auch, warum? Weil ich‘s nehme, wie es kommt, und das Geld genauso wie die Weibsbilder. Pardon, die Frauen. Das ist eine ganze Philosophie, ich habe viel darüber nachgedacht, Kolja. Im Grunde genommen ist Geld etwas Lebendiges. Und ihm gefällt an uns Männern dasselbe wie den Tussis . . . Pardon, den Frauen. Mäuse und Miezen, die muss man nehmen, wie sie kommen, fröhlich, aber behutsam mit ihnen umgehen. Unaufmerksamkeit und Geringschätzung verzeihen sie einem nicht, kapiert? Man spricht oft von der Mystik des Geldes, vom Geheimnis der weiblichen Seele. Glaub das bloß nicht. Es gibt da kein Geheimnis, das ist alles einfach und klar. Hauptsache, du gehst mit ihnen um wie mit guten Kumpels. Sei nicht unverschämt, aber mach auch keinen Fetisch daraus. Tu comprends? Man kann sie lieben, sogar sehr, aber geh ihnen mit deiner Liebe nicht zu sehr auf die Nerven, halt dich zurück. Dann zieht es sie von selbst zu dir.«
    »Wen, die Knete oder die Frauen?«, wollte Fandorin wissen, der mit größter Aufmerksamkeit zuhörte.
    »Alle beide. Alle beide.« Solowjow dachte über die Grammatik nach, kam aber zu keinem eindeutigen Schluss. »Entschuldige, Kolja. Ich bin ins Philosophieren gekommen. Du wolltest mir doch etwas erzählen.«
    »Pam-pa-pa-pam-pam-pam-pa-pam!«, ertönte der Hochzeitsmarsch das zehnte, wenn nicht fünfzehnte Mal an diesem Abend. Nicholas konnte nicht aufhören, sich darüber zu wundern, wie unterschiedlich Solowjow mit seinen unsichtbaren Gesprächspartnern redete: Mal benutzte er einen wenig verständlichen, aber reizvollen Jargon, mal griff er zu Höflichkeitsfloskeln (wie »keine Ursache« und »ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet«), mal redete er auf Englisch, mal auf Französisch und dann wieder in einer Turksprache.
    »Ein Renaissance-Typ à la Benvenuto Cellini«, dachte Nicholas und weidete sich daran, wie kunstvoll Wlad das Glas leerte und gleichzeitig jemand am Telefon zuhörte. Normalerweise dauerte das Gespräch nicht länger als eine Minute, aber diesmal zog sich die Unterhaltung in die Länge. Solowjows Stirn war gerunzelt, er trommelte mit den Fingern auf den Tisch und stellte eine kurze Frage nach der anderen:
    »Ist das sicher? . . . Name und Vorname?. . . Kann man das nicht bremsen? . . . Wer, bitte? . . . Ausgerechnet der? . . . Scheibenkleister! Alles ist im Eimer. Dann ist die Kacke am Dampfen . . . Bei wem zur Überprüfung? . . . Ausgerechnet bei dem? . . .« Und in dieser Art ging es weiter.
    Fandorin wartete ungeduldig. Er wollte jetzt Wlad etwas erzählen, damit der versteht: Die Beschäftigung mit der Geschichte kann ein nicht weniger abenteuerliches Unterfangen sein als das tollkühne russische Business.
    »Hör zu, Kolja«, sagte Wlad, nachdem er das Gespräch beendet hatte. Seine Augen blickten ernst und

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