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Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees

Titel: Die Bienenhüterin - The Secret Life of Bees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Monk Kidd
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mich zurück auf mein Lager und sagte mir, dass ich nun nachdenken könnte, worüber ich wollte, außer über meine Mutter, und natürlich war sie die Einzige, die durch die Aufzugtür hoch in meinen Kopf wollte.
    Ich merkte, wie sich die Dinge um mich herum auflösten. All die losen Enden der Traumwelt fransten um mich herum. Aber würde ich am falschen Faden ziehen, würde sich meine äußere Ruhe aufribbeln. Seit ich T. Ray angerufen hatte, drängte es mich, Rosaleen davon zu erzählen. Nur um zu sagen: Falls du dich fragst, ob T. Ray in sich gegangen ist oder sich geändert hat, seit ich weggelaufen bin - verschwende nicht länger auch nur einen Gedanken daran. Aber ich brachte es einfach nicht fertig zuzugeben, dass ich mich das so oft gefragt hatte, dass ich ihn sogar angerufen hatte.
    Was war nur mit mir los? Wie konnte ich hier leben und so tun, als ob alles völlig in Ordnung wäre? Ich lag auf dem Bett und starrte auf das grelle Viereck meines Fensters, ich war völlig erledigt. Es kostete mich so viel Kraft, die Dinge im Griff zu halten. Lass mich rein , sagte meine Mutter, lass mich in den verdammten Aufzug.
    Na gut. Ich zog meine Tasche hervor und sah das Bild meiner Mutter an. Ich fragte mich, wie es wohl gewesen war, in ihr zu sein, ein fleischiges Würmchen, das in ihrer Dunkelheit schwimmt, und was für sprachlose Dinge wohl zwischen uns gewesen waren.
    Das Verlangen nach ihr war noch immer da, aber es war nicht mehr so heftig und wütend wie sonst. Als ich ihre Handschuhe anzog, merkte ich, wie knapp sie auf einmal saßen. Wenn ich sechzehn wäre, würden sie mir wie Kinderhandschuhe vorkommen. Ich würde wie Alice im Wunderland sein, nachdem sie von dem Kuchen gegessen hatte und riesengroß geworden war. Meine Hände würden die Nähte sprengen, ich würde die Handschuhe nie mehr anziehen können.
    Ich rollte die Handschuhe von meinen verschwitzten Händen und spürte, wie mich eine Welle der Unruhe überrollte, die alte, nagende Schuld, die Kette von Lügen, die ich schwer um meinen Hals trug und die ich nicht ablegen konnte, die Angst, aus dem rosa Haus vertrieben zu werden.
    »Nein«, stieß ich aus. Das Wort brauchte sehr lange, um aus meiner Kehle zu kommen. Ein ängstliches Flüstern. Nein, ich werde nicht darüber nachdenken. Ich werde das Gefühl nicht zulassen. Ich werde nicht zulassen, dass es alles zerstört. Nein.
    Ich musste vor mir selber zugeben, dass es eine dumme Idee gewesen war, mich hinzulegen. Ich stand auf und ging hinüber zum rosa Haus, um etwas Kaltes zu trinken. Falls ich jemals in den Himmel kommen sollte - trotz allem, was ich getan habe -, hoffte ich, man würde mir nur ein paar Minuten für eine kurze Besprechung mit Gott geben. Ich wollte ihm sagen: Ich weiß, du hast es wirklich gut gemeint, als du die Erde und alles Andere erschaffen hast, aber wie konntest du es bloß so weit kommen lassen? Warum bist du nicht bei deinem Plan geblieben und hast den Leuten ihr Paradies gelassen? Das Leben der Menschen war doch ein einziges Schlamassel.
    Als ich in die Küche kam, saß May dort auf dem Fußboden, die Beine von sich gestreckt, eine Schachtel Kräcker in ihrem Schoß. Das war ja klar - May und ich waren die Einzigen, die nicht einmal fünf Minuten lang ruhig in ihren Betten liegen konnten.
    »Ich hab’ne Kakerlake gesehen«, sagte sie und langte in einen Beutel voller Marshmellows. Sie nahm ein paar heraus und zerkrümelte sie. May machte schon verrückte Sachen.
    Ich öffnete die Tür vom Kühlschrank und starrte hinein, so als ob ich darauf warten würde, dass die Grapefruit-Flasche von selbst in meine Hand hüpfen und sagen würde: Na los, trink schon. Ich schien überhaupt nicht zu begreifen, was May da eigentlich gerade tat. Manchmal werden einem die wirklich bedeutenden Dinge erst auf unerträglich zähe und langsame Weise klar. So, wie wenn man sich den Knöchel bricht und den Schmerz erst spürt, wenn man schon drei Straßen weiter gegangen ist.
    Ich hatte schon fast ein ganzes Glas Saft ausgetrunken, bis mich mein Verstand den kleinen Pfad aus zerkrümelten Kräckern und Marshmellows wahrnehmen ließ, den May über den Fußboden legte, der am Spülbecken anfing und bis zur Tür führte, gepflastert mit goldenen Krümeln und Fetzchen aus klebrigem Weiß.
    »Die Kakerlaken folgen dem dann bis zur Tür«, sagte May. »Das klappt jedes Mal.«
    Ich weiß nicht, wie lange ich auf den Pfad am Boden gestarrt habe, auf Mays Gesicht, das zu mir gewandt darauf wartete,

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