Die Bienenkönigin
Cornwall gefunden hatten. Ja – es
ist
ebendiese, wenn auch nicht mehr blütenweiß, sondern leuchtend purpurn gestrichen. Girlanden von Geißblatt winden sich an Arabesken,
und safrangelbe Gazevorhänge wiegen sich im Wind, |66| jederzeit bereit, zugezogen zu werden, sollte Ungestörtheit erwünscht sein. Unter der Pergola liegen um das Podium in der
Mitte Kissen aus purpurner Seide, willkürlich verstreut. Sie fragt sich mit ungläubigem Staunen, wieso diese Pergola, die
Talbot doch aus Cornwall nach Easton, Maryland, in ihren Garten in Talcilla hatte bringen lassen, sich jetzt hier befindet.
Noch verwirrender erscheint, dass am helllichten Tag unter der Pergola die Nacht angebrochen ist: Glühwürmchen flackern, ordnen
sich zu immer neuen Sternenmustern und Mondsicheln, und feengleiche Wesen mischen sich darunter, flüchtig und flink wie Kolibris,
schwirren sie aus der Dunkelheit ins Sonnenlicht, ihr entgegen, nur um ihren Kopf zu umkreisen und dann flugs wieder unter
der Pergola zu verschwinden.
Plötzlich ist eine Menschengruppe zu sehen, die auf einem Pfad aus dem dunklen Forst auftaucht. Ein verblüffender Anblick:
vier Gestalten, die identische Kimonos aus lavendelfarbener und safrangelber Seide tragen, angeführt von einer unerhörten
Schönheit – höher gewachsen als die anderen – die riesige Gestalt. Sie trägt ein Banner, auf dem das Wort »Akeru« prangt,
und gekleidet ist sie in einen Kaftan aus gelber Gaze, bestickt mit Kronen und Bienen. Darüber ein Umhang aus purpurrotem
Taft, dessen Kapuze hinreißend kupfern glänzendes Haar umrahmt, das um ihre Schultern wallt, als sie sich gemessenen Schrittes
der Pergola nähert. Dieses Urbild furchteinflößender Pracht bin natürlich ich. Es wird das erste Mal sein, dass Priscilla |67| in Akeru jemanden zu Gesicht bekommt, abgesehen von Rowena, und sie wird nicht wissen, ob wir Freund sind oder Feind. Aber
plötzlich tobt eine Horde schwarzer und weißer Affen, angeführt von meinen Lieblingen, den Zwillingen Oscar und Peter, von
den Bäumen herunter, mit ihren winzigen Fingern Kastagnetten umklammernd, die sie in improvisierten Rhythmen klappern lassen,
unentwegt in fremden Zungen schnatternd, während sie aufdringlich, aber freundlich Priscilla entgegeneilen.
Auf den verschlungenen Wegen durch die Gärten ist Rowena unauffällig hinter Priscilla hergeschlichen, und jetzt ist der Zeitpunkt,
hinter einem Baum hervorzukommen und Priscilla aufzuschrecken, sie sanft zur Pergola zu drängen und aufzufordern, sich auf
eines der Kissen zu setzen. Während ich meinen Platz auf dem Podium einnehme, trennen sich Oscar und Peter von ihren
copains
, nehmen mir das Banner ab, klettern geschwind damit aufs Dach der Pergola, befestigen es und springen wieder herunter. Sie
zügeln sich, setzen sich ruhig hin und beäugen Priscilla aufdringlich. Eine beklemmende Stille schließt sich an, während sich
der Himmel verdunkelt. Aber er öffnet nicht seine Schleusen, sondern aus dem Schatten des Waldes erklingt Musik: Eine unsichtbare
Gruppe exzellenter Musiker spielt den 5. Satz aus Beethovens Streichquartett in cis-moll, op. 131, Talbots Lieblingssatz.
Dieses Musikstück habe ich ausgewählt, weil es mich darin erinnert, wie Talbot den Liebesakt gestaltete: |68| Erwartungen, die anfänglich abgewiesen werden; dann Erfüllung, schrittweise aufgeschoben durch Brüche im Rhythmus, aber in
eben dem Moment, wenn Rhythmus, Harmonie und Struktur so gut wie vollständig zerstört scheinen, weckt die kleine Fuge, die
den Satz eröffnet, neue Hoffnung, lenkt die Erwartungen in eine andere Richtung und kehrt zurück, um die Erfüllung zu bringen.
Ist Priscilla feinfühlig genug, das nachzuempfinden? Offenbar nicht, denn sie scheint weit mehr interessiert, die Göttinnen
Galaxy, Volupia, Milo und Luna zu mustern, die gleichmütig auf ihren Kissen sitzen, wohl wissend, dass sie, solange sie schön
bleiben, auch am Leben sind. »Gib acht, Miss Pris«, ermahne ich die kuschende Priscilla. »Es wird eine dreiminütige Stille
folgen, während der du deine Augen so fest zu schließen hast, dass sich dein Gesicht wie zu einer Faust ballt, weil du angestrengt
bemüht bist, dich mit positiven Gedanken auf das Kommende einzustellen.« Worum es sich handelt, wird nicht verraten. »Wenn
du deine Augen auch nur für einen verstohlenen Blick öffnest, hat das ernste Folgen.« Priscilla kneift die Augen so krampfhaft
zusammen, dass ihr
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