Die Bischöfin von Rom
gibt doch außer mir bestimmt noch andere Verletzte, um die du dich kümmern mußt!« stieß Branwyn hervor.
»Diejenigen, die nicht gleich beim ersten Angriff gefallen sind, haben nur oberflächliche Fleischwunden und Schrammen davongetragen«, entgegnete Paulinus. »Sie werden die Zähne zusammenbeißen und wie zuvor ihre Pflicht tun.« Er zögerte kurz, dann setzte er hinzu: »Du hingegen bist weder fähig, längere Strecken zu gehen, noch könntest du eines der Pferde reiten, welche den zertrümmerten Planwagen zogen. Und das bedeutet, wir werden dich wohl oder übel hier zurücklassen müssen.«
»Allein in der Wildnis?!« brach es aus der jungen Frau heraus. »Das kannst du nicht verantworten! Außerdem gabst du dem Tribun Julianus das Versprechen, mir Schutz zu gewähren!«
»Ich erfüllte ihm den Wunsch, den er brieflich äußerte, soweit es in meinen Kräften stand«, lautete die Antwort. »Aber jetzt, in dieser besonderen Situation …«
»Sind deine Handelsgüter und dein Profit dir wichtiger als ein Menschenleben!« fiel ihm Branwyn außer sich ins Wort.
Abrupt wandte Paulinus Lupus sich ab; als er sich auf den Rücken seines Rapphengstes schwang, klirrte das große silberne Kruzifix, das er um den Hals trug, hart gegen den bronzenen Beschlag des Sattelhorns.
Das metallische Geräusch ließ die junge Frau zusammenzucken; in dem scharfen Ton schien sich die ganze Herzlosigkeit des Kaufherrn und Reliquienhändlers auszudrücken, der sein Christentum mit Hilfe des Kreuzes so auffällig zur Schau stellte – in Wahrheit jedoch die Lehre Jesu verleugnete.
Branwyn vermochte den Anblick dieses Mannes nicht länger zu ertragen und schloß angewidert die Augen. Dann, nachdem Paulinus und seine Reiter sich entfernt hatten, war ihr der hinkende Maultiertreiber, der als erster zu ihr gekommen war, behilflich, aufzustehen. Er brachte sie weg von der Geröllhalde und geleitete sie zu einer Birke, an deren Stamm sie sich lehnen konnte.
Von dort aus beobachtete sie, wie man die Leichen der gefallenen Franken in den Wildbach warf, wie Marcus zusammen mit den beiden anderen Toten des Handelszuges verscharrt wurde und die Karawane sich anschließend wieder formierte, um weiterzuziehen. Als das letzte Saumtier in der Schlucht verschwunden war, tastete die junge Frau nach dem Bündel, das ihr Helfer, der unmittelbar vor dem Aufbruch noch einmal zurückgekehrt war, zusammen mit ihrem Gepäck neben dem Baumstamm niedergelegt hatte. Sie fand einen Laib Brot und eine Lederflasche mit Wein in dem Tuch und durfte sich sagen, daß zumindest einer der Männer Barmherzigkeit bewiesen hatte.
Doch dieser Gedanke vermittelte ihr kaum Trost, denn bald würde die Nacht über die Bergwildnis hereinbrechen – und mit der Dunkelheit würden die Raubtiere kommen.
Samira
Während der Nacht hatte Haimo, der Jäger, weit in der Ferne das Heulen der Wölfe vernommen, und weil ihm der Schutz der auf den Almen weidenden Schaf- und Ziegenherden anvertraut war, hatte er sich sofort nach Tagesanbruch aufgemacht, um womöglich das eine oder andere der gefährlichen Raubtiere zu erlegen.
Am späten Vormittag entdeckte er am Ufer des Wildbaches, dem er nach Osten folgte, die ersten Wolfsspuren; sie zeigten sich nahe der Hufabdrücke und Wagengeleise des Handelszuges, der vorgestern ins Dorf gekommen war. Als er die Geläufe untersuchte, erkannte er, daß das Rudel hier das Gewässer gekreuzt hatte und sodann flußab gezogen war. Den schußbereiten Bogen in der Hand, blieb der etwa vierzigjährige Waidmann auf der Fährte, die von zwei älteren und vier halbwüchsigen Tieren stammte. Gegen Mittag gelangte er zu der Stelle, wo das Gewässer über eine Reihe flacher Felsstufen schäumte; jenseits der Katarakte fächerten sich die Raubtierspuren auf.
Der Jäger wußte, was das bedeutete: Die Wölfe hatten sich getrennt, um die Beute, die sie reißen wollten, gleichzeitig von verschiedenen Seiten anzugreifen – und eben als Haimo das dachte, erspähte er bei einem Gestrüpp tiefer unten am Rand des Talbodens einen leblos daliegenden menschlichen Körper.
Im ersten Moment war er versucht, einfach loszurennen, doch er wäre kein erfahrener Waidmann gewesen, wenn er der unwillkürlichen Regung nachgegeben hätte. Statt dessen schlich er vorsichtig zu dem bewußten Platz; jederzeit bereit, einen Pfeil abzuschnellen. Er passierte eine einzeln stehende Birke, auf deren weißer Rinde sich in Hüfthöhe rostbraune Flecken zeigten. Einige Dutzend
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