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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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vollwertigen Schule im Kirchensprengel Sancta Praxedis geplant sei. Die ersten Schritte seien bereits in die Wege geleitet; Schwester Theodora, der man ohnehin schon sehr viel verdanke, habe zusammen mit Calpurnia auch in dieser Beziehung wieder wertvolle Hilfe geleistet und versprochen, ihr Wissen und ihren Idealismus weiterhin einzubringen.
    Als daraufhin begeisterter Beifall losbrach und einige Gläubige sie sogar lautstark hochleben ließen, errötete Branwyn verlegen. Calpurnia hingegen, die zusammen mit ihr zur Einweihungsfeier gekommen war, strahlte über das ganze Gesicht, umarmte ihre Freundin und flüsterte ihr zu: »Du hast dir das Lob wahrhaftig verdient und dir durch deine Arbeit in Sancta Praxedis zahlreiche Herzen gewonnen. Also sei nicht so bescheiden, sondern freue dich über die Zuwendung!«
    »Du hast ja recht«, gestand die junge Frau ein; gleich darauf war Silvia bei ihr, schloß sie ebenfalls in die Arme, und nun erwiderte Branwyn die Liebkosung lachend. Der glückliche Ausdruck auf ihrem Antlitz blieb, während ihr anschließend viele andere Gemeindemitglieder von Sancta Praxedis die Hände schüttelten; das Leuchten in ihren Augen verstärkte sich, als einige der Waisen zur ihr kamen und ihr einen großen Blumenstrauß überreichten, den sie selbst gepflückt hatten. Dann feierten Erwachsene, Kinder und Jugendliche bis zum Abend; erst nach Einbruch der Nacht machten sich Calpurnia, Branwyn sowie etliche andere Mitglieder von Sancta Maria, die an dem kleinen Fest teilgenommen hatten, auf den Rückweg nach Trans Tiberim.
    Die betagte Presbyterin war ausgelassen wie ein junges Mädchen; daheim im Atriumhaus bestand sie darauf, noch ein Glas Wein mit ihrer Freundin zu trinken. Branwyn willigte gerne ein; sie war froh, daß Calpurnia nach ihrer schweren Erkrankung jetzt offenbar ihren früheren Lebensmut wiedergefunden hatte. Auch im Verlauf der folgenden Wochen änderte sich daran nichts; tatkräftig leitete die Presbyterin die Geschicke ihrer Gemeinde und schien sich, was ihr Amt anging, keine Gedanken mehr über eine Nachfolgeregelung zu machen – dann allerdings, Mitte November, erlitt sie völlig unerwartet einen Rückfall.
    ***
    Es geschah am Ende des Sonntagsgottesdienstes in Sancta Maria. Calpurnia sprach eben den Schlußsegen, als ihr Gesicht sich plötzlich verzerrte und sie mit einer krampfhaften Bewegung an ihre Brust griff. Im nächsten Moment keuchte sie vor Schmerzen und taumelte; Camilla, Gaius und Angela, die ganz vorne gesessen hatten und ihr zu Hilfe eilten, konnten gerade noch verhindern, daß sie hilflos zusammenbrach.
    Man bettete die Presbyterin auf eine Bank; ein Junge rannte zum Hospital, um Branwyn zu verständigen, die dort an diesem Vormittag die Schwerkranken versorgte. Als die erschrockene junge Frau in die Kirche stürzte und sich zu der halb Ohnmächtigen durchdrängte, bestätigten sich ihre schlimmsten Befürchtungen: Calpurnias bläulich angelaufenes Gesicht sowie ihr röchelnder Atem deuteten auf einen schweren Herzanfall hin.
    Branwyn hatte eine Tasche mit Medikamenten bei sich; nun holte sie eine Phiole heraus, in der sich ein Absud aus den Blättern des Roten Fingerhutes befand, und flößte ihrer Freundin einen kleinen Schluck davon ein. Jäh bäumte sich Calpurnia unter einem Hustenanfall auf, aber sie behielt die Flüssigkeit bei sich, und nach einer Weile entspannte sich ihr verkrampfter Leib. Daraufhin verabreichte Branwyn ihr eine zweite Dosis des herzstärkenden Mittels und sorgte anschließend dafür, daß die Presbyterin nach Hause gebracht wurde.
    Kaum lag sie auf ihrem Bett, schlief Calpurnia völlig erschöpft ein. Da ihre Angehörigen vorerst nichts mehr für sie zu tun vermochten, zogen sie sich zurück; Branwyn hingegen blieb bei ihrer Freundin sitzen und hoffte, sie würde bald wieder zu sich kommen. Wirklich dauerte es höchstens eine Stunde, bis Calpurnia die Augen aufschlug. Zuerst schien sie Mühe zu haben, sich des Vorgefallenen zu entsinnen; wenig später jedoch wurde ihr Blick auf seltsame Weise klar, und sie raunte in eindringlichem Tonfall: »Es ist gut, daß wir allein sind! Du und ich! Denn ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen!«
    Branwyn beugte sich vor; während sie es tat, erinnerte sie sich unvermittelt an das Gespräch, das sie an jenem lauen Juniabend im Hof des Atriumhauses mit der Presbyterin geführt hatte – mit dem nächsten Atemzug hörte sie Calpurnia flüstern: »Du hattest mehrere Monate, um dir zu überlegen, ob

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