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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Verschwiegenheit – vom Wunsch ihrer Großmutter, sie zur Priesterin zu weihen. Daraufhin fiel die Siebzehnjährige ihr jauchzend um den Hals; die begeisterte Zustimmung freute Branwyn, dennoch antwortete sie auf Angelas drängende Frage, ob sie sich denn bereits entschlossen habe, ausweichend.
    Am Sonntagnachmittag dann, als die Abordnung von Sancta Praxedis eintraf und sie die Besucher zusammen mit Calpurnia durch das Waisenhaus führte, hielt Branwyn sich möglichst im Hintergrund. Das freilich hinderte die Mitglieder der Delegation nicht, sich immer wieder an sie zu wenden. Besonders Silvia, die Presbyterin der Esquilingemeinde, der sie als einer Vertrauten Calpurnias schon öfter im Atriumhaus begegnet war, schien heute mehr als sonst Anteil an ihr zu nehmen. Gegen Ende der Führung zog die etwa vierzigjährige Frau mit dem kurzgeschnittenen brünetten Haar sie in eine Ecke und lobte sie: »Ihr habt hier wirklich Großartiges geleistet! Man spürt, wie wohl die Kinder und Jugendlichen sich in diesem Heim fühlen, und dich scheinen sie alle ganz besonders zu lieben. Das freilich wundert mich nicht, denn du gehst mit den Waisen um, als wären sie dein eigenes Fleisch und Blut. Der Dreikäsehoch, den du vorhin für eine Weile Huckepack nahmst, nannte dich sogar Mama – und ich würde sagen, das bist du im Sinne der christlichen Nächstenliebe tatsächlich hier in der Gemeinde von Sancta Maria.«
    »Wenn jemand unsere Mutter ist, dann Calpurnia«, wehrte Branwyn verlegen ab.
    »Na gut, so gibt es in eurem Kirchensprengel eben zwei Mütter«, antwortete Silvia lächelnd. »Eine betagte und eine junge – und deshalb brauchen sich die Gläubigen in Trans Tiberim auch keine Sorgen um die Zukunft zu machen.«
    Ehe Branwyn etwas erwidern konnte, fuhr die Presbyterin von Sancta Praxedis fort: »Ich wäre heilfroh, in meiner Gemeinde jemanden wie dich zu haben. Vor allem jetzt, wo wir die Einrichtung des Waisenheimes in Angriff nehmen wollen …«
    »Ich könnte vielleicht einmal pro Woche zu dir kommen«, bot Branwyn spontan an. »Schließlich zieht es mich ja sowieso immer wieder in eure Kirche auf dem Esquilin. Wenn ich aber schon dort bin, wäre es kein Problem, bei dir vorbeizuschauen und dir ein wenig zur Hand zu gehen.«
    »Das würdest du tatsächlich für uns tun?« freute sich Silvia.
    »Jetzt, da Calpurnia wieder gesund ist, kann ich die Zeit erübrigen«, bekräftigte Branwyn – und wenig später, als die Priesterin die anderen über ihre Abmachung informierte, stand sie, ohne es zu wollen, abermals im Mittelpunkt.
    ***
    Den ganzen Sommer über und anschließend noch die ersten Herbstwochen dieses Jahres 359 hindurch half Branwyn den Gläubigen von Sancta Praxedis mit Rat und Tat. Ihre vielfältigen Pflichten in Sancta Maria kamen hinzu, von frühmorgens bis spätabends war die junge Frau auf den Beinen. Trotz dieser ständigen Anspannung verlor sie nie den Mut und blieb stets freundlich im Umgang mit denen, die ihre Unterstützung benötigten. Ihre Menschenliebe schenkte ihr die Kraft; zudem durfte sie sich sagen, daß ihre Aufopferung nicht unwesentlich dazu beitrug, die Werte der Lehre Jesu gegen das verderbliche Machtstreben des Patriarchats zu verteidigen.
    Sowohl im Geiste des Galiläers als auch im Einklang mit dem Willen der Göttin setzte Branwyn dem Ungeist des Weißen Drachen die humane Stärke des Roten Drachen entgegen – und es war ein Sieg der Menschlichkeit, als Mitte Oktober das Waisenheim auf dem Esquilin eröffnet werden konnte. Rund fünfzig Kinder und Jugendliche, die bisher nur bitterste Armut und Demütigung gekannt hatten, bezogen die Räume des liebevoll renovierten Hauses, das am Hang zwischen den Kirchen Sancta Praxedis und Sancta Maria Maiora lag. Drei festangestellte und von der Kirchengemeinde bezahlte Betreuerinnen würden sich von diesem Tag an um die Waisen kümmern; zudem hatten sich gut ein Dutzend Frauen und Männer bereiterklärt, in ihrer Freizeit unentgeltlich für die Mädchen und Jungen da zu sein.
    Ähnlich wie in Sancta Maria waren Lehrstellen oder Arbeitsplätze für die Halbwüchsigen zur Verfügung gestellt worden; was den Schulunterricht anging, so würde ein Teil der Kinder zunächst allmorgendlich nach Trans Tiberim kommen, während der Rest vorerst von Silvia und einigen Helfern unter die Fittiche genommen werden sollte. Vorerst – denn bei ihrer Einweihungsrede erklärte die Priesterin, daß für das folgende Jahr die Einrichtung einer eigenen

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