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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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daran, wie wohl sie sich bei vielen anderen Gelegenheiten unter dem Dach des christlichen Hauses gefühlt hatte.

Das Erntedankfest
    Wie immer wenn Branwyn zu Gast bei Dafydd und seinen Eltern war, nahm der Anblick des ungewöhnlichen Bildnisses sie gefangen. Fast mystisch leuchtete die Gestalt des großen Fisches aus dem Halbdunkel über dem schlichten, aus Feldsteinen geschichteten Hausaltar im hinteren Bereich des runden Raumes. Branwyn wußte, daß der Ichthys das Symbol des Glaubens war, dem Dafydds Familie anhing; gleichzeitig stellte der Fisch aber auch ein eindrucksvolles Kunstwerk dar.
    Der alte Dylann, Dafydds Vater, hatte Tausende kleiner Muschelschalen zu dem Mosaik zusammengefügt. Klar und in harmonischen Linien waren die dunkel abgesetzten Konturen von Kopf, Leib und Schwanz des Ichthys herausgearbeitet; sein Schuppenkleid hingegen bestand aus vielfach verschlungenen keltischen Mustern, deren Farbgebung an das Spektrum eines Regenbogens erinnerte. Das Bildwerk, das auf eine Schicht gebrannten Lehms aufgebracht war, nahm genau die Breite des Altartisches ein, und die dort leise flackernden Bienenwachskerzen lockten im Verein mit dem Herdfeuer die magisch irisierenden Reflexe aus den Facetten des Muschelmosaiks.
    Auch jetzt wieder blieb Branwyn still neben der Tür stehen, um den Zauber auf sich wirken zu lassen. Zudem wollten sie und Dafydd die beiden Männer und die Frau nicht stören, die in der Andachtsecke knieten. Es handelte sich um Dylann, den Schöpfer des Bildnisses, sowie seine Gemahlin Mirjam und Jacwb, den sich die kleine christliche Gemeinde auf der Ynys Vytrin vor vielen Jahren zu ihrem Priester erwählt hatte.
    Weder Jacwb noch Dafydds Eltern bemerkten, daß sie nicht mehr allein waren. Denn soeben sprachen sie gemeinsam das Gebet, das Jesus selbst seine Jüngerinnen und Jünger gelehrt hatte: die Seligpreisung der Armen, Schwachen und Unterdrückten, die nach dem Willen Gottes dereinst die Erde erben sollten. Zuletzt wiederholte der betagte Priester noch einmal einen Satz aus der Bergpredigt, der ihm besonders am Herzen lag: »Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit finden!« Danach erhoben sich alle drei, umarmten einander – und erblickten die jungen Leute am Eingang des Rundhauses.
    »Branwyn! Wie schön, dich heute abend bei uns zu haben!« Mit diesen Worten eilte Mirjam auf die junge Frau zu und drückte sie an ihre Brust. Auch Dylann und der Priester begrüßten sie herzlich, dann forderte Dafydds Vater sie auf, an dem bereits gedeckten Tisch neben der Feuerstelle Platz zu nehmen.
    Es gab am Spieß geröstetes Geflügel und dazu frisches Gemüse, das aus dem liebevoll von Mirjam gehegten Pflanzgarten hinter dem Haus stammte. Während sie sich das Mahl schmecken ließen, erzählte Dafydd – freilich ohne allzusehr ins Detail zu gehen – vom Gang auf die Hochweide und dem Gewittersturm, den er und seine künftige Frau dort erlebt hatten. Aufmerksam lauschten ihm seine Eltern und der Gottesmann, zwischendurch stellten sie die eine oder andere Frage. Branwyn wiederum genoß es, einfach dabeizusitzen und die anderen zu betrachten.
    Gerade erkundigte sich Dylann besorgt, ob tatsächlich keines der Schafe Schaden durch das Unwetter genommen hätte, und nicht zum ersten Mal hatte Branwyn das Gefühl, in dem knapp sechzigjährigen Inselbauern und Fischer Dafydd zu erkennen, so wie er ein Menschenalter später aussehen würde. Die beiden großgewachsenen Männer waren einander wie aus dem Gesicht geschnitten: dasselbe markante Antlitz, die tiefblauen Augen und das dichte Haar, das allerdings bei Dylann schon stark ergraut war. Mirjam hingegen, die kürzlich ihren fünfzigsten Geburtstag gefeiert hatte, zeigte noch keinerlei Anzeichen des Alters. Sie war eine jener etwas rundlichen, vollblütigen Frauen, die vor Lebenslust und Tatkraft manchmal schier überschäumten; zudem besaß Dafydds Mutter Humor, und zuzeiten konnte gutmütiger Schalk aus ihren verschmitzten grünen Augen blitzen.
    Eben als Branwyn dies dachte und ihr einmal mehr bewußt wurde, welches Glück sie hatte, schon bald eine Schwiegermutter wie Mirjam zu bekommen, äußerte Jacwb: »Wenn kein einziges Tier in den Klippen zu Tode kam, so hat Gott sichtbar seine Hand über die Herde gehalten!« Er besann sich, drehte sich zu der jungen Frau an Dafydds Seite herum und setzte hinzu: »Aber damit will ich gewiß nicht behaupten, daß nicht vielleicht auch Ceridwen, deren Quelle du zusammen mit Kigva und Arawn

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