Die Bischöfin von Rom
Versprechen abgegeben hatte. Kaum war sie im Amt, stieß sie eine ganze Reihe von sozialen Maßnahmen an, welche einerseits den Schwachen und Benachteiligten der Tiberstadt zugute kamen, andererseits das Zusammengehörigkeitsgefühl der von ihr geführten Kirchensprengel stärkten. Branwyn konnte dabei auf den Erfahrungen, die sie in Sancta Maria und teils auch in Sancta Praxedis gemacht hatte, aufbauen; was sich dort bereits bewährt hatte, sollte nun auf ähnliche Weise möglichst überall in der Stadt Früchte tragen.
Während der Sommer- und Herbstmonate dieses Jahres 361 wurden Waisenheime auf dem Viminal- und dem Quirinalhügel eingerichtet; anderswo bemühten sich Gruppen engagierter Christen, die Voraussetzungen für allgemein zugängliche Schulen zu schaffen. Hierbei machte sich vor allem Marcellus verdient; der arianische Priester aus dem Pincius-Viertel war zu einem überaus wertvollen Mitarbeiter Branwyns geworden, und zwischen beiden hatte sich eine herzliche Freundschaft entwickelt. Sie vertiefte sich noch, als in Marcellus' Gemeinde schon im September ein in Gemeinschaftsarbeit renoviertes Haus als Schulgebäude für zunächst fünfzig Kinder eingeweiht werden konnte; ähnlich schöne Erfolge waren im Verlauf des Frühherbstes in anderen Kirchensprengeln zu verbuchen. Auf dem Aventin wurde eine Krankenstation eröffnet, die später zu einem vollwertigen Hospital ausgebaut werden sollte; ebensolche, bereits weit fortgeschrittene Bestrebungen gab es im Celius-Viertel, und in einem halben Dutzend römischer Stadtteile existierten mittlerweile ambulante Altenpflegedienste.
Alle diese Initiativen, die letztlich sämtlichen Bürgern ohne Ansehen der Person nützten, brachten den Papstgegnern, an deren Spitze die junge Bischöfin stand, viele Sympathien ein; das Patriarchat hingegen geriet von Monat zu Monat mehr ins Abseits. Schon die Bischofswahl an sich – die noch dazu mit der Erhebung einer Frau zur Episcopa geendet hatte – war ein schwerer Schlag für Liberius und seine Gefolgschaft gewesen. Nun kamen die vielen sozialen Maßnahmen hinzu und entlarvten den Klerus im Lateranpalast, der stets nur eigennützige Machtpolitik betrieben hatte, aufs beschämendste. Das Ergebnis war, daß immer mehr Römer – selbst solche, die bislang eher indifferent eingestellt gewesen waren – in Opposition zum Patriarchat gingen. Die nichtkatholischen Gemeinden bekamen dadurch starken Zulauf; selbst mit Hilfe seiner Söldnertruppe hätte Liberius jetzt nichts mehr gegen die zahllosen Anhänger Branwyns unternehmen können – und ebensowenig war er fähig, einen Festakt ganz besonderer Art zu verhindern, der auf Einladung Silvias am ersten Oktobersonntag in der Kirche Sancta Praxedis stattfand.
***
Branwyn, die nach wie vor im Atriumhaus lebte, machte sich an diesem Nachmittag mit etwas gemischten Gefühlen auf den Weg. In ihrer Bescheidenheit war ihr der Gedanke an das, was heute geschehen sollte, beinahe unangenehm. Sie hatte jedoch eingesehen, daß sie die Delegationen aus den verschiedensten Stadtvierteln, die vor allem ihretwegen kommen würden, nicht vor der Kopf stoßen durfte.
Während sie zusammen mit Angela, Camilla und Gaius sowie einer feierlich gestimmten Abordnung ihrer eigenen Kirchengemeinde durch die Gassen von Trans Tiberim und dann über das Forum Romanum weiter Richtung Esquilinhügel ging, spürte sie auf Schritt und Tritt, wie sehr die Menschen ihr zugetan waren. Ununterbrochen wurde sie gegrüßt, Kinder unterbrachen ihr Spiel und winkten ihr zu; auf einem kleinen Platz kurz vor dem Ziel, wo sich eine ausgelassene Hochzeitsgesellschaft versammelt hatte, brachen die Musikanten plötzlich ab und schmetterten im nächsten Moment Branwyn zu Ehren einen Tusch.
Als die junge Bischöfin und ihre Begleiter schließlich das Gotteshaus am Nordhang des Esquilin erreichten, wartete dort bereits eine vielhundertköpfige Menschenmenge. Die festlich gekleideten Frauen und Männer klatschten und bildeten sodann ein Spalier, durch das Branwyn wohl oder übel schreiten mußte – freilich tat sie es erst, nachdem sie Silvia und Marcellus an ihre Seite gezogen hatte. Die beiden führten sie zu einem der Ehrensitze im Chorraum der Kirche, die übrigen Priesterinnen und Priester gesellten sich zu ihnen; gleichzeitig füllte sich das Kirchenschiff bis auf den letzten Platz.
Langsam kehrte Ruhe ein; dann, auf ein Zeichen Silvias hin, stimmten die Gläubigen einen Choral an. Der getragene Gesang erzeugte
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