Die Bischöfin von Rom
Deckel. Als sie sich wieder aufrichtete, hielt sie ein blaues Kleid in den Händen, dessen Halsausschnitt, Ärmel- und Rocksäume mit roten Stickereien verziert waren. »Na?« strahlte sie. »Was sagst du dazu? Das Waidblau müßte doch ausgezeichnet zu deinem rotblonden Haar passen. – Los, zieh es gleich an! Ich kann es gar nicht erwarten, dich darin zu bewundern.«
Mit leuchtenden Augen nahm Branwyn das Gewand entgegen und begab sich damit hinter einen Wandschirm nahe der Feuerstelle. Sie schlüpfte aus ihrem verschlissenen Kleid, streifte das indigofarbene über und vernahm dabei erneut Dyaras Stimme: »Ich habe noch ein Paar Schuhe für dich gefunden … Und den Sommer über könnten wir zusammen ein Plaid für dich weben, so daß du später während der kalten Jahreszeit nicht zu frieren brauchst …«
»Wenn wir beide uns an den Webstuhl setzen, wirst du es sein, die etwas Schönes bekommt!« rief Branwyn hinter der Stellwand. Gleich darauf trat sie hervor, drehte sich lachend im Kreis und jubelte: »Das ist das zauberhafteste Gewand, das ich je besessen habe! Es paßt wie angegossen, und der Stoff ist so angenehm und kühl! Ehrlich, ich fühle mich wie neu geboren!«
»Ganz ist die Wiedergeburt deines Liebreizes freilich noch nicht vollendet, auch wenn du schon fast so verführerisch wie eine Maienkönigin aussiehst«, schmunzelte Dyara. »Eine Kleinigkeit fehlt noch …« Sie reichte Branwyn die naturbraunen Wildlederschuhe, von denen sie vorhin gesprochen hatte. »Damit bist du nun aber wirklich unwiderstehlich und wirst künftig beileibe nicht mehr bloß irgendwelchen Barden die Köpfe verdrehen, sondern jeden Mann verrückt machen, der dir über den Weg …«
Sie unterbrach sich; instinktiv hatte sie Branwyns innerliches Zusammenzucken bemerkt. »O je, habe ich jetzt etwas Falsches gesagt?« fragte sie betroffen.
Branwyn schüttelte den Kopf. »Nein, das hast du nicht. Es ist nur, weil …« Sie stockte. »Bitte, versteh mich, ich möchte im Moment nicht darüber sprechen … Doch wenn ich das Gefühl habe, mich ausreden zu müssen, komme ich zu dir, ja?«
»Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst!« erwiderte Dyara leise.
Branwyn dankte ihr mit einem innigen Blick; wenig später, während sie in ihren neuen Schuhen probeweise durch den Raum schritt, lächelte sie schon wieder – und dann erkundigte sie sich nach etwas, das sie bereits die ganze Zeit beschäftigt hatte: »Du und die übrigen acht Druidinnen von Avalon, ihr tragt alle die gleichen Gewänder in den Farben der Dreifachen Göttin: die roten und schwarzen Borten auf dem hellen Stoff. Wie kommt es, daß du trotzdem auch andere Kleider besitzt?«
»Weil ich morgen wieder eines davon anziehen werde«, antwortete Dyara. »Nur heute trugen wir die besonderen Gewänder, denn bei Sonnenaufgang führten wir ein Baumritual durch. Aber an gewöhnlichen Tagen besteht keine Notwendigkeit dazu. – Habt ihr es denn auf der Ynys Vytrin nicht so gehalten?«
»Doch«, entgegnete Branwyn. »Ich dachte nur, hier auf der Ynys Avallach würde das vielleicht weniger locker gehandhabt.«
Einmal mehr blitzte koboldhafter Schalk aus Dyaras hübschen Augen. »Natürlich gibt es äußerst ernsthafte Frauen hier, zum Beispiel mich. Doch andererseits dulden wir auch Druidinnen wie Bendigeida oder die greise Alba unter uns, die ständig über die Stränge schlagen.« Sie seufzte in gespielter Verzweiflung. »Aber man muß sie eben so annehmen, wie sie sind. Das gebietet die Barmherzigkeit der Lehre Ceridwens.«
»Und Humor, wie du ihn besitzt, ist eines der größten Geschenke der Göttin«, sagte Branwyn in warmem Tonfall.
»Lachen schenkt Kraft!« kam es von Dyara; plötzlich wirkte sie sehr weise. Ein paar Atemzüge lang herrschte nachdenkliche Stille im Rundhaus; dann, ehe sie zurück zum Anger gingen, umarmten die beiden jungen Frauen sich wortlos.
***
Das Licht der Nachmittagssonne lag auf den Tischen und Bänken, die in einem windgeschützten Winkel vor der Hafenherberge standen. Eolo Goch hatte es sich hier draußen bei einem Becher Wein bequem gemacht; soeben beobachtete er, wie an einem der Landungsstege ein ungewöhnlich großer Curragh entladen wurde. Die vier Männer, die das mindestens fünfzehn Fuß messende Boot über den See gerudert hatten, brachten zunächst mehrere Traglasten Steinsalz, das in Netze geschnürt war, an Land. Danach folgten ein Dutzend Körbe mit Holzkohle und ein Bündel Eisenstangen, die offenbar für
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