Die Bischöfin von Rom
»In der Lohe des Dornbaums manifestierte sich für ihn sowie für alle Angehörigen seines Volkes nach ihm das Ewige – und dies ist auch der Grund, warum Jussuf von Arimathea einen derartigen Schößling mit auf sein Schiff nahm, um ihn zur Ynys Avallach zu bringen.«
»Er und sein junger Verwandter Jeschu erwiesen den keltischen Göttern und den Druidinnen von Avalon damit höchste Ehre«, fuhr Danyell fort. »Indem sie den heiligen Baum ihres Glaubens mit den Birken Ceridwens verbanden, drückten sie ihre Hochachtung vor der Weisheit Britanniens aus und begründeten die Freundschaft, die später zwischen den geistigen Nachfahren des Galiläers und den Anhängern der druidischen Lehre erwachsen sollte. Beinahe drei Jahrhunderte hindurch blüht dieses fruchtbare Miteinander jetzt schon, und die Tatsache, daß wir – zwei Frauen aus dem Apfelgarten sowie zwei Getaufte – uns einträchtig hier im Hain des Heiligen Dorns austauschen, ist einer der vielen Beweise dafür.«
Branwyn ließ die Worte des Priesters eine Weile auf sich wirken, dann sagte sie: »Ich weiß, daß die christliche Gemeinde, deren Hirten ihr seid, die älteste auf britannischem Boden ist, und ich würde nun sehr gerne mehr über sie erfahren.«
Saray wies auf die schlichte Kirche mit ihren lehmverstrichenen, vielfach ausgebesserten Flechtwerkwänden und dem Reetdach. »Hier siehst du das Gotteshaus, in dem das Christentum dieses Landes begründet wurde. Im einundsiebzigsten Jahr unserer Zeitrechnung wurde es erbaut und ist seitdem, von den nötigen Arbeiten zu seiner Instandhaltung abgesehen, unverändert geblieben. Diejenigen aber, welche die Kirche errichteten, waren Flüchtlinge aus Judäa, die in ihrer Heimat verfolgt wurden und deswegen in Britannien Zuflucht suchten.«
»Vor wem flohen sie?« erkundigte sich Branwyn.
»Vor den Römern«, antwortete Danyell. »Denn zu jener Zeit wüteten deren Legionen unter dem Befehl des Feldherrn und späteren Kaisers Titus grausam in dem Land, wo Jeschu geboren und gekreuzigt worden war. Weil die Juden, die bereits zuvor unter römische Oberhoheit geraten waren, sich dem Joch der Fremdherrschaft nicht beugen wollten und sich gegen die Sklaverei aufbäumten, stürmten die Legionäre im Jahr siebzig ihre Hauptstadt Jerusalem und zerstörten den dortigen Tempel. Tausende von gefangenen Freiheitskämpfern wurden hingerichtet, doch der Haß der Römer traf nicht nur die Bewaffneten, sondern ebenso die friedlichen Anhänger Jeschus. Diese Frauen und Männer nämlich, welche jegliche Gewalt ablehnten, konnten angesichts des Unrechts, das ihr Volk erlitt, nicht schweigen. Vielmehr hielten sie den Mördern, Frauenschändern und Räubern ihre Untaten vor und beschworen sie, ihre Sünden zu bereuen und das Unrecht so weit wie möglich wiedergutzumachen …«
»Dazu gehört wahrhaftig größerer Mut, als mit dem Schwert zu kämpfen!« rief Dyara mit blitzenden Augen.
»Ohne Zweifel – doch der Preis dafür war bitter!« versetzte Saray. »Denn die Römer betrachteten jene Frauen und Männer, die ihnen das Gotteslästerliche ihres Tuns vor Augen führten, nun sogar als ihre schlimmsten Feinde. Viele von ihnen wurden hingemetzelt, anderen gelang mit knapper Not die Flucht, und zu diesen gehörte auch die kleine Schar, welche nach Britannien kam. Es war ein Nachfahr des Jussuf von Arimathea unter ihnen, der ein Handelsschiff besaß; auf diesem Segler fuhren sie entlang der ägyptischen und phönizischen Küsten nach Westen, bis sie den atlantischen Ozean erreichten. Sodann warfen sie das Steuerruder nach Norden herum, folgten den Gestaden der Iberischen Halbinsel und Galliens und sichteten nach monatelanger Reise die Klippen von Kernow. Eingedenk der Freundschaft, die Jussuf von Arimathea und sein Großneffe Jeschu zwei Menschenalter zuvor mit den Druidinnen der Ynys Avallach geschlossen hatten, landeten sie jedoch nicht im Südwesten der britannischen Insel, sondern fuhren weiter nach Osten. Unmittelbar vor Einsetzen der Herbststürme schließlich warfen sie Anker im selben Hafen, in dem einst auch das andere jüdische Schiff gelegen hatte, und von dort aus ritten Boten zur Hügelfestung des Arvirax, um ihm die Ankunft der Fremden zu melden.«
»Dieser Arvirax herrschte wohl damals über die hiesigen Stämme der Beiger?« vermutete Branwyn.
»Ja, und er war ein guter und großherziger König«, erwiderte Danyell. »Denn er stellte die Flüchtlinge unter seinen Schutz und beherbergte sie den Winter
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