Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
Vom Netzwerk:
über in seiner Ringburg. Im folgenden Frühling dann, nachdem er sie wegen ihrer friedlichen Wesensart achten gelernt hatte, begab er sich zusammen mit ihnen zur Insel von Avalon. Hier einigten die Druidinnen und Arvirax sich darauf, den Anhängern der Lehre Jeschus ein Stück Land zu schenken, damit sie sich eine neue Heimstätte schaffen könnten. Es bot sich an, dafür die Umgebung des Haines zu wählen, der zwei Generationen zuvor von den Frauen des Apfelgartens und ihren hebräischen Freunden gepflanzt worden war, und so entstand das Dorf, in dem du dich befindest. Bevor jedoch die ersten Häuser gebaut wurden, errichteten die getauften Juden zum Dank für ihre Rettung die Kirche, die damit im einundsiebzigsten Jahr unserer Zeitrechnung zum ersten christlichen Gotteshaus auf britannischem Boden wurde.«
    Einige Atemzüge lang herrschte Schweigen unter dem Dornbaum. Leise bewegte sein Blattwerk sich im Wind, und Sonnenstrahlen spielten im Filigran der Zweige. Erneut spürte Branwyn, wie fließend die Grenze zwischen Diesseits- und Anderswelt an diesem Ort war; eben als sie dies dachte, vernahm sie die Stimme Dyaras: »Der Same, der in jenen Tagen hier gesät wurde, hat seither reiche Früchte getragen. Mittlerweile fast drei Jahrhunderte hindurch konnten christliche und druidische Weisheit sich begegnen, und es geschah stets in Zuneigung und gegenseitiger Achtung. Kein Mißklang trübte das Miteinander, denn Heiden und Getaufte waren sich bewußt, daß es ebenso viele Pfade zur Erkenntnis des Göttlichen gibt wie Menschen ehrlichen Willens auf Erden leben. So lehrte es Jeschu, wenn er die Liebe zum Nächsten, welche unabdingbar die Achtung vor dessen geistiger Freiheit beinhaltet, über alles andere stellte – und was er predigte, trifft sich mit einer grundlegenden Lehre des Druidentums, das in seiner Toleranz ebenfalls niemanden bevormunden, einengen oder gar zwingen will. Weil aber sowohl Christen als auch Ungetaufte in diesem Sinne dachten und handelten, hatten beide Segen davon, und die Ynys Avallach wurde im kleinen zu dem, was die Welt im großen sein könnte, wenn alle Völker sich bemühen würden, den Weg zu gehen, der hier zum gemeinsamen Nutzen beschritten wurde.«
    Nachdem Dyaras Worte verklungen waren, blieb es im Hain der weißrindigen Bäume, die wie behütend um den Heiligen Dorn standen, erneut für geraume Zeit still – bis Branwyn zuletzt durch eine Geste ausdrückte, was sie empfand. Sie umarmte Dyara, Saray und Danyell und hatte dabei das Gefühl, als sei sie nicht erst seit kurzem, sondern bereits über mehrere Wiedergeburten hinweg mit ihnen allen verbunden: mit der jungen Druidin, die wie sie der Dreifachen Göttin diente, und mit dem christlichen Priesterpaar, dessen jüdische Vorfahren von den Römern verfolgt worden waren, weil sie sich bemüht hatten, das Vermächtnis Jesu weiterzutragen.
    Dann, als Branwyn Anstalten machte, sich wieder ins Gras zu setzen, sorgte Dyara auf ihre unnachahmliche Art dafür, daß die Stimmung ins Heitere umschlug. »Der Mensch – um einen Ausspruch Jeschus etwas abzuwandeln – lebt nicht von philosophischen Wahrheiten und dem Austausch von Zärtlichkeiten allein«, verkündete sie bedeutungsvoll. »Vielmehr benötigt er darüber hinaus leibliche Nahrung zu seinem Wohlbefinden, und deswegen frage ich euch, meine Freunde Danyell und Saray, ob wir uns bei euch zum Mittagsmahl einladen dürfen?«
    »Selbstverständlich seid ihr herzlich willkommen an unserem Tisch«, gab der Priester schmunzelnd zur Antwort. »Allerdings müssen wir eine Bedingung stellen …«
    »Und die wäre?« fragte Dyara ahnungslos.
    »Du versprichst zuvor feierlich, dich nicht am Abwasch zu beteiligen«, forderte Danyell. »Denn als du beim letzten Mal auf diese Weise Nächstenliebe an uns üben wolltest, ging eine unserer größten Schüsseln zu Bruch.«
    »Das geschah nur, weil du mir in deiner männlichen Unbeholfenheit in die Quere kamst, als ich besagtes Gefäß auf das Wandbord stellen wollte«, verwahrte sich Dyara. »Aber wenn du meinst, daß ich heute bloß nach Kräften schmausen und danach keinen Finger mehr krumm machen soll, habe ich im Grunde nichts dagegen einzuwenden.«
    »Dann laßt uns also gehen, ehe du uns hier draußen verhungerst«, lachte Saray.
    Gleich darauf verließen sie unter weiteren Scherzen den Hain und begaben sich zu jenem Haus, das der Kirche am nächsten stand. Dort hängte Saray einen Kessel mit Hammelfleisch und Gemüse über die

Weitere Kostenlose Bücher