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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Durchmesser, die von einer feinen, kaum sichtbaren Linie umzirkelt war.
    Nachdem sie dem Barden und Branwyn Muße gelassen hatte, den Totenschädel eingehend zu betrachten, erklärte Alba: »Der Mann, auf dessen Schultern dieser Kopf einst saß, wurde vor mehr als einem halben Jahrtausend geboren und war Häuptling eines atrebatischen Stammes. Eines Tages stürzte er vom Pferd und prallte dabei mit dem Schädel gegen einen Baumstamm. Zwar war die Knochenhülle unverletzt geblieben, doch es kam zu einer Blutung unter der Hirnschale, weshalb der Atrebat nach einigen Tagen die Besinnung verlor und sie nicht wiedergewann. Daraufhin beschlossen seine Gefolgsleute, auf der Insel von Avalon um Hilfe zu bitten. Die erfahrenste der hiesigen Druidinnen eilte zusammen mit ihnen nach Süden in ihr Stammesgebiet; dort stellte sie fest, daß einzig noch eine Kopföffnung das Leben des Häuptlings retten konnte. Sie führte den Eingriff an Ort und Stelle durch, indem sie das runde Stück, das ihr hier seht, aus dem Schädeldach schnitt. Sodann entfernte sie das taubeneigroße Blutgerinnsel, das sich darunter gebildet hatte, um das Beinplättchen zuletzt wieder einzusetzen. Kaum war dies geschehen, schlug der Kranke die Augen auf; nach einigen Monaten war er völlig genesen. Die Ränder der Knochenscheibe waren von neuem mit dem Schädeldach verwachsen; einzig das ringförmige Mal blieb zurück.«
    »Wie lange lebte der Mann noch?« wollte Eolo Goch wissen.
    »Beinahe zwanzig Jahre«, lautete die Antwort Albas. »Erst dann wurde sein Körper begraben, seinen Kopf hingegen brachte man auf Bitten der Druidinnen hin auf die Ynys Avallach, damit er hier für alle Zeiten der Ausbildung besonders begabter Ärztinnen dienen sollte …«
    Sie zog das Messerchen, das sie am Gürtel trug, aus der Scheide und setzte die Spitze vorsichtig an der feinen Linie an, die außen um die verknöcherte Stelle des Schädels lief. Ein leichter Druck bewirkte, daß das Beinplättchen sich löste und Alba es herauszunehmen vermochte. »Auf diese Weise können Druidinnen, die dafür geeignet sind, Anschauungsunterricht erhalten«, erläuterte sie. »Sie lernen die Stärke des menschlichen Schädelknochens kennen und bekommen ein Gespür dafür, wie sie die Instrumente bei einer Kopföffnung zu gebrauchen haben. Denn vor allem auf dieses Feingefühl kommt es an, wenn wir einen derartigen Eingriff wagen.«
    »Heißt das, ihr führt heute noch Schädelöffnungen durch?« fragte Branwyn.
    »Einige Male habe ich es getan«, nickte Alba. »Auch mehrere meiner Schülerinnen, die mittlerweile anderswo wirken, beherrschen diese Kunst. Ebenso ist die Ärztin Blodeuwedd, die mit uns zusammen im Apfelgarten lebt und hier bei der Versorgung der Leidenden meine rechte Hand ist, beinahe schon soweit. Wenn ich eines Tages nicht mehr bin, wird sie an meine Stelle treten; so ist es abgesprochen, denn nie war die Insel von Avalon ohne eine Druidin mit dieser Fähigkeit.«
    Sehr bewegt verließen der Barde und Branwyn die Heilstätte; ein paar Tage später dann machte die Schule des Eilands, zu der Dyara sie führte, abermals tiefen Eindruck auf sie.
    Die junge Druidin hatte sich mit ihnen im Hafendorf verabredet, wo es an diesem Morgen ihre Aufgabe gewesen war, eine Hochschwangere, die in Kürze erstmals gebären sollte, in einer besonderen Art des Atmens zu unterweisen, welche ihr später die Niederkunft erleichtern sollte. Nun durchquerten sie die Ansiedlung und erblickten ein Stück dahinter einen Hain aus Linden und Haselsträuchern, aus dem ihnen ausgelassener Lärm entgegenschlug. Als sie näherkamen, sahen sie eine Schar Kinder, die zwischen drei geräumigen Rundhäusern herumtollten, und Dyara legte ihren Begleitern dar: »In jedem dieser Gebäude wird eine bestimmte Altersgruppe unterrichtet, wobei die Kleinsten sechs und die Größten fünfzehn Jahre zählen. Einzelne Halbwüchsige mit herausragenden Leistungen werden anschließend weiter im Apfelgarten gefördert, wie ihr ja bei verschiedenen Gelegenheiten schon bemerkt habt. Danach steht es ihnen offen, sich entweder auf der Ynys Avallach oder in einem anderen Druidenhain das umfassende keltische Wissen zu erwerben.«
    »Zum Beispiel auf der Halbinsel von Kernow, wo es im Moor von Bodmynn eine Ausbildungsstätte gibt, die der hiesigen kaum nachsteht«, warf Eolo mit einem Seitenblick auf Branwyn ein. »Sie bestand schon lange, ehe die Römer unserem Land die Freiheit raubten, und vermochte zu überleben, weil

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