Die Bischöfin von Rom
Wasser des Sees schweben zu sehen.«
»Wollten wir denn nicht gemeinsam dorthin?« kam es überrascht von Dyara.
»Eigentlich schon …« lautete die etwas zögerliche Antwort. »Doch ich bin sicher, Eolo und ich finden den Ort auch allein …«
Eine stumme Bitte in den graublauen Augen ihrer Freundin bewog Dyara dazu, nicht weiter nachzubohren. Sie tauschte statt dessen einen Blick mit Bendigeida, worauf diese mit leisem Lächeln nickte, sich Branwyn und dem Barden zuwandte und sagte: »Morgen könntet ihr tatsächlich Glück haben, sofern ihr die Zeit des Sonnenuntergangs wählt.«
»Wir werden deinen guten Rat befolgen«, erwiderte Branwyn erleichtert.
Eolo wiederum, dem diese Entwicklung der Dinge sichtliche Genugtuung zu bereiten schien, lud die drei Frauen zum Mittagsmahl im nahen Dorf ein und erntete erfreute Zustimmung für seinen Vorschlag.
Nachdem sie den kurzen Weg zur Ansiedlung zurückgelegt hatten, ließen sie sich an einem der Tische im sonnigen Winkel vor der Hafenherberge nieder und genossen gebratenen Fisch, frisches Gartengemüse sowie einen Krug des ausgezeichneten gallischen Rotweins, den der Wirt im Keller hatte. Erst als die Sonne schon schräg stand, brachen sie alle zusammen zum Apfelhain auf.
Dort holte der Barde seine Handharfe aus dem Gästehaus und begann unter dem schirmförmigen Reetdach auf dem Anger zu spielen und zu singen. Branwyn saß an seiner Seite; ab und zu musterte sie ihn verstohlen – und hoffte dabei, daß die Göttin ihr morgen Beistand leisten würde.
***
In einem Curragh, den einer der Inselfischer ihnen geliehen hatte, waren sie zum Festland im Südwesten der Ynys Avallach übergesetzt. Dort hatten Branwyn und der Barde das Boot im Schutz einiger Erlen an der Einmündung eines Flüßchens in den See von Avalon zurückgelassen und waren dem kaum sichtbaren Pfad gefolgt, den Dyara ihrer Freundin beschrieben hatte und der zu einem Dolmen aus uralter Zeit führte.
Im warmen Schein der sinkenden Sonne strahlte das Steinkammergrab, das sich am Abhang eines flachen Hügels erhob, tiefen Frieden aus. Längst waren die Gebeine, die einst in seinem Inneren gelegen hatten, verschwunden; Heidekraut wuchs zwischen den drei aufrecht stehenden Quadern, auf denen der keilförmige Deckstein lag. Als die junge Frau und ihr Begleiter sich näherten, huschte mit graziösen Bewegungen eine Eidechse weg. Branwyn und Eolo warteten ab, bis das Tierchen sich in einer Felsspalte in Sicherheit gebracht hatte, dann ließen sie sich am Fuß des Dolmen nieder.
Die Aussicht, die sie von hier auf den See und das Eiland hatten, war von traumhafter Schönheit. An manchen Stellen glitzerte das Gewässer golden im Abendlicht, anderswo hingen hauchzarte Dunstschleier über den Fluten. Die Insel mit ihren drei Kuppen, auf deren höchster sich die klare Kontur des Menhirs abzeichnete, wirkte zu dieser Stunde wie entrückt; hinzu kam die schier andersweltliche Ruhe, die von keinem Laut gestört wurde.
Lange schauten die junge Frau und der Barde zur Ynys Avallach; erst als sich eine Wolkenbank vor die nun schon tief hängende Sonnenscheibe schob und leichter Wind aufkam, flüsterte Branwyn: »Ich glaube, Bendigeida hatte gestern recht. Dort drüben bereitet sich etwas vor. Ich spüre, wie es herannaht, doch eine Weile werden wir uns wohl noch gedulden müssen …«
»Wenn du willst, verkürze ich uns die Wartezeit etwas«, antwortete Eolo und deutete auf den Tragesack, in dem er seine Handharfe mitgebracht hatte.
Die junge Frau musterte ihn nachdenklich, dann stimmte sie zu. Der Barde nahm das Instrument heraus, legte es in seine Armbeuge und ließ die Fingerkuppen zart über eine der Saiten gleiten. Der feine Ton schien das Fächeln des Windes im Heidekraut aufzunehmen; allmählich entstand daraus eine leise Melodie, und auf diese verhaltene Weise, welche die über der Landschaft webende zauberische Atmosphäre nicht beeinträchtigte, sondern eher verstärkte, spielte Eolo nun in selbstvergessener Hingabe.
Die gedämpften Tonfolgen, die sich in vollkommener Harmonie aneinanderreihten, berührten Branwyns Innerstes; sie empfand beglückendes Losgelöstsein, gleichzeitig war aber auch etwas wie entsagungsvoller Schmerz in ihr. Schließlich, als langsam die Schatten der Dämmerung einfielen, traten ihr Tränen in die Augen. Sie legte die Hand auf den Arm des Barden; er verstand ihre unausgesprochene Bitte, ließ die letzte Kadenz verklingen und lehnte die Harfe gegen den Dolmen.
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