Die Bismarcks
in der Unfallklinik. Hannah Leopoldine Alice von Bredow wurde in Friedrichsruh begraben. Die deutschen überregionalen Zeitungen widmeten ihr keinen Nachruf. Lediglich in einem kleinen, in St. Gallen erscheinenden Regionalblatt gab es einen Artikel über sie.
Am 14. September 1949 wollte Gottfried mit seiner Frau Freunde in Düsseldorf besuchen und von dort nach Süddeutschland weiterreisen. Der achtjährige Sohn Andreas sah dem Wagen nach, in dem seine Eltern am Morgen Schönau verließen. Kurz vor zwölf Uhr mittags begann es zu regnen. Melanie, wie ihre Schwägerin Hannah auf einem Auge blind, steuerte den schweren, hochbeinigen Opel Kapitän, dessen Fond durch Benzinkanister zusätzlich belastet war. In der Nähe von Verden an der Aller geriet der Wagen bei hoher Geschwindigkeit auf der kopfsteingepflasterten, glitschigen Straße ins Schleudern. Ein entgegenkommender schwer beladener LKW erfasste das Fahrzeug in seiner Breitseite und zertrümmerte den Opel vollständig. Melanie war auf der Stelle tot, Gottfried starb drei Stunden später an einer Gehirnblutung im Krankenhaus der Stadt Rotenburg. Der jähe Tod, so hat es den Anschein, muss für Gottfried eine Erlösung gewesen sein.
Bruder Otto, der sich gerade auf dem Weg von Salem (wo er seinen ältesten Sohn besucht hatte) nach Hause befand, wurde an den Unfallort dirigiert und traf die erforderlichen Maßnahmen. Drei kleine Kinder waren nun Vollwaisen; Ann Mari und Otto kümmerten sich zunächst um sie. Die beiden Töchter des Paares kamen bald darauf in ein Internat in Oberbayern, der Sohn wurde von Johann Georg Hoyos, einem Bruder der Mutter, aufgenommen und zog zu ihm nach Wien. Otto bestritt die Ausbildungs- und Unterhaltskosten. 69
In einer Bodensenke hinter dem Mausoleum von Friedrichsruh, dessen Innenraum Anklänge an den Dom von Palermo und an den Stauferdom in Trani in Apulien hat, haben Hannah und Gottfried ihre letzte Ruhe gefunden. Dort sind die politischen Antipoden der Familie aus dem Jahr 1933 wieder vereint.
In der Bundesrepublik
Otto von Bismarck wurde am 8. Mai 1947 in einem Entnazifizierungsverfahren in der britischen Zone in Gruppe V – »unbelastet« – eingestuft. Die Spruchkammer legte ihm dennoch eine Geldbuße von 100 000 Mark auf, denn die Untersuchungskommission hatte bei Otto einen gewissen Geltungsdrang konstatiert, der zu seiner Mitläuferrolle im Dritten Reich geführt habe. Man verstehe nicht, hieß es im Protokoll weiter, »warum sich Bismarck als Träger eines der berühmtesten Namen in Deutschland überhaupt unter dem Nationalsozialismus als Beamter betätigt hat«. 70 Im Oktober 1948 lud das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal Otto zu einem Kreuzverhör, zu dem er aber nicht erschien, weil er ein ärztliches Attest vorweisen konnte. Den Plan, die Bismarcks zu enteignen, gaben die Briten auf, zu deren westlicher Besatzungszone Friedrichsruh gehörte. Bis zum heutigen Tage kämpft die Familie jedoch mit den Folgen, denn um der Enteignung zu entgehen, wurde der gesamte Besitz künstlich zersplittert, auf Ehefrau und Kinder aufgeteilt. Heute sitzen daher bei Erbfragen viel zu viele Bismarcks mit am Verhandlungstisch.
Zur Beurteilung von Ottos Rolle und seinen Verfehlungen im Dritten Reich kann man den »Geltungsdrang« stehen lassen. Aber um Ottos Persönlichkeit und seine Beweggründe im Jahre 1933 zu erfassen, reicht dieses ein wenig selbstgefällige Zeugnis aus dem Jahre 2 nach der Katastrophe der Deutschen und speziell auch seiner Familie nicht aus. Im Spiel waren auch die Last eines großen Namens, Unsicherheit über den einzuschlagenden Kurs und Pflichterfüllung und Verantwortungsgefühl à la von Weizsäcker. Vielleicht wollte Otto von Bismarck es seinen Richtern zeigen, vielleicht war es die Entscheidung eines Geläuterten, als er schon zwei Jahre später damit begann, sich auf Kreisebene politisch zu betätigen. Es war der Gründungsmoment der Bundesrepublik Deutschland. Bruder Gottfried war tot. Bruder Albrecht, so viel stand fest, würde nicht nach Deutschland zurückkehren. Am weltweiten Itinerar Ottos zeigte sich nun, dass die Bismarcks eine Weltfamilie geworden waren und es zumindest bis zu Ottos Tod blieben. Marion Gräfin Dönhoff, mit der Familie Bismarck befreundet, bat ihn im Mai 1949 um römische Adressen für ihre bevorstehende Italien-Reise.
Existenziell wichtig wurde für Otto jetzt der Gedankenaustausch mit seiner Schwester Hannah und seinem Bruder Albrecht, den er im Oktober 1949
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