Die Bismarcks
vom Zusammenhalt der Brüder unter schwierigsten Bedingungen. Überlebende des 20. Juli 1944 hatten ebenfalls zugunsten von Gottfried Erklärungen abgegeben. Er wurde als »minderbelastet« eingestuft.
Die Katastrophe des deutschen Nationalstaats, die Zerstörung von Friedrichsruh, der Verlust von Schönhausen und Varzin, der Tod der Mutter und des geliebten Sohnes, der Vaterersatz gewesen war, machten Hannah zu einer »displaced person«. Nach der Aufgabe ihres Hauses in Potsdam im Herbst 1945 verließ sie im Sommer 1946 Berlin und ging in die Schweiz. Gelegentlich reiste sie später nach Capri. Sie war 51 Jahre alt und hatte noch 25 Jahre Lebenszeit vor sich. Der enge Kontakt zu Bruder Gottfried wurde wiederbelebt. Viele Briefe wechselten in den Jahren 1945 bis 1947 zwischen Basel und Schönau. Am 26. April 1947 schrieb sie ihm: »Es tut mir immer so wohl, wenn Du mir schreibst, weil ich bei Dir so viele Gedankengänge spüre, die den meinigen entsprechen, und weil es mir ein Bedürfnis ist, mit Dir – wenn auch die Zensur stört und die Post unzuverlässig ist – reden zu können.« 68
Hannah besaß nicht nur das Chalet in der Nähe von Gstaad, sie hatte auch viele Freunde in der Schweiz, unter ihnen Carl Jacob Burckhardt, den ehemaligen Völkerbund-Kommissar in Danzig, dessen Mutter Helene Burckhardt-Schazmann sowie das Ehepaar Hans und Theodora von der Mühll. Die von der Mühlls hatten im Herbst 1944 Hannahs beide jüngste Söhne aufgenommen. In der Nähe dieser Freunde fühlte sich Hannah wohl. Sohn Leopold-Bill wurde mit Liebe und Aufmerksamkeit überschüttet.
Hannah war einerseits entwurzelt, fühlte sich aber andererseits ihrem Lebensentwurf und ihren Vorstellungen von einer für sie angemessenen Existenz verpflichtet. So mietete sie kein Haus oder eine Wohnung, sondern zog in das Hotel Schweizerhof in Basel. Leopold-Bill wohnte bei ihr und machte in Basel sein Abitur. Er genoss das Leben mit seinen großzügigen Schweizer Gastgebern, die häufig interessante Gäste zum Abendessen hatten. Als vorübergehend finanzielle Schwierigkeiten auftraten, mietete Hannah ein Zimmer in einer Pension. Später kehrte sie in andere Basler Hotels zurück.
Bruder Otto gewährte ihr und ihrer Schwester eine monatliche Unterstützung von jeweils 500 DM und finanzierte auch das Studium von Leopold-Bill. Gedrängt hatte ihn dazu sein engster Freund, der aus Ostpreußen stammende Baron »Panje« Schmidtseck. Otto hatte mit ihm einst in Plön die Schulbank gedrückt und den Freund auch nach dem Krieg nicht im Stich gelassen. Dem Baron, der seinen Besitz im masurischen Woplauken verloren hatte, hatte er in Aumühle ein kleines Siedlungshäuschen übereignet. Gespannt warteten Hannah und ihre Kinder auf das Ergebnis des Gesprächs, das Schmidtseck mit seinem Freund in dieser Sache führen wollte. Der Baron war mit dem Resultat nicht gerade zufrieden und sagte: »Mehr konnte ich aus ihm nicht herausholen.« Als sich in den 1960er-Jahren Hannahs finanzielle Lage verbesserte und sie ihrem Bruder eine Rückzahlung mit deutlichem Zinsaufschlag anbot, lehnte dieser ab. Seine Begründung, er habe seine Schwester gern unterstützt, konnte sie jedoch nicht akzeptieren. Bei beiden Schwestern herrschte Enttäuschung über die Hartleibigkeit des Bruders.
Sobald es das Wetter zuließ, Ende März, Anfang April, ging Hannah in die geliebten Berge in ihr Chalet und blieb dort bis Anfang November. Jeder Tag begann mit einem ausführlichen Frühstück und einer umfassenden Zeitungslektüre. Hannah bekam häufig Besuch von ihren Kindern und Freunden und war selbst viel unterwegs. Nach Deutschland kam sie nur noch zu Kurzaufenthalten zurück. Die politische Klasse der Bundesrepublik hatte keinen Kontakt zu ihr.
Im Mai 1971 besuchte Hannah, von Kiel kommend, ihren Bruder in Friedrichsruh. Es war ein heißer Tag. Hannah war glücklich, an den magischen Ort ihrer Kindheit zurückgekehrt zu sein. Gegen Abend schwamm sie einige Runden im Schwimmbad. In dem Gästezimmer unter dem Dach des Schlosses, in dem sie wie immer übernachten wollte, verfing sie sich mit ihrem Schuhwerk unglücklich in einem Teppichloch und fiel rückwärts gegen die scharfe Kante einer Kommode. Dabei brach sie sich das Rückgrat. Man kam ihr zu Hilfe, behandelte sie aber unsachgemäß, sodass die Ärzte im Bergedorfer Unfallkrankenhaus nur noch eine Querschnittslähmung diagnostizieren konnten. Hannah fiel für zwei Wochen ins Koma und starb am 12. Juni 1971
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