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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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– ich kenne
     sie nur aus Bangkok. Wann immer ich durch die Stadt fuhr – ich nahm ein Tuk-Tuk. Mit diesen Dingern fuhr ich durch Bangkok.
     Da sie schnell sind und die Fahrer sich selten an die Verkehrsregeln halten, macht es einen Mordsspaß – auch wenn man mir
     erzählte, dass sie leicht umkippen und auch sonst oft in Verkehrsunfälle verwickelt sind.« Er schien den Faden verloren zu
     haben, überlegte einen Augenblick und atmete tief ein.
    »Am 26. Mai abends wollte die gesamte Gruppe zusammen nach Wien zurückfliegen. Das Hotel stellte uns einen Shuttlebus zum
     Flughafen zur Verfügung. Ich aber wollte noch einmal mit dem Tuk-Tuk fahren. Deshalb gab ich meine Koffer dem Bus mit, ein
     Kollege muss sie dann wohl am Flughafen für mich aufgegeben haben. Und ich – ich setzte mich in ein grünes Tuk-Tuk und winkte
     ihnen zum Abschied zu. Ich sah sie nicht mehr wieder.«
    Dengler sah, wie Steins Augen feucht wurden.
    »Bei Tuk-Tuk-Fahrten muss man immer beachten: Die Fahrer kommen aus den entferntesten Provinzen und sprechen kein Englisch.
     Daher ist es ratsam, sich das Fahrziel von der Rezeption in Thai auf einen Zettel schreiben zu lassen. Das machte ich auch.
     Ich ging zu der Dame an der Rezeption und bat sie auf einen Zettel ›Flughafen‹ zu schreiben. Das tat sie.« Er unterbrach sich
     und trank einen Schluck Wein.
    Dann fuhr er fort: »Diesen Zettel zeigte ich dem Fahrer in dem grünen Tuk-Tuk. Ich fragte ihn noch, ob er es verstanden habe,
     und er nickte. Also stieg ich ein.«
    Er nahm noch einen Schluck.
    »Dieser Fahrer stammte wohl von einer Minderheit aus dem Norden, er konnte weder Englisch noch Thai. Und: Wie viele Asiaten
     hielt er es für unhöflich, ›Nein‹ zu sagen oder einem Gast zu widersprechen. Vielleicht konnte er auch nicht lesen. Er hatte
     keine Ahnung, wo ich hinwollte, als er losfuhr.«Christiane legte ihm ihre Hand auf den Arm und sagte: »Diesem armen Teufel sollte man ein Denkmal setzen.«
    Stein nickte: »Ja, er rettete mir das Leben. Irgendwann merkte ich, dass wir in einer völlig falschen Gegend waren; ich sah
     das Wat Po von weitem. Ich schrie ihn an, er solle halten, und das tat er dann auch. Ich zeigte ihm den Zettel und fragte
     und fragte, und er lächelte nur und nickte immer wieder. Wahrscheinlich war ihm aber genau so ungemütlich in seiner Haut wie
     mir in meiner. Schließlich fuhr ein zweiter Tuk-Tuk-Fahrer vorbei; der wurde angehalten, und dann besahen sie sich zu zweit
     den Zettel und redeten ununterbrochen in einer sehr schnellen asiatischen Sprache. Und ich schrie dazwischen: Airport, Airport!
     Irgendwann wurde mir klar, dass es mit dem Tuk-Tuk keine Chance gab, zum Flughafen zu kommen. Also schrie ich ihm ins Ohr:
     Taxi, Taxi. Der Mann lächelte und nickte, und wir fuhren wieder los. Die Richtung schien mir falsch. Ich klopfte ihm auf den
     Rücken und wies in die Richtung, wo ich Downtown vermutete. Er lächelte und nickte und wechselte tatsächlich die Fahrbahn.
     Wir fuhren ewig, aber die Gegend wurde städtischer und schließlich sah ich ein Taxi. Ich gab dem Fahrer ein Zeichen und, mein
     Gott, dieses Mal begriff er und hielt am Straßengraben an. Nun bezahlte ich wütend meinen Tuk-Tuk-Mann und ließ mich ins Taxi
     fallen. ›Airport please‹, sagte ich, und der Wagen fuhr los. Die Richtung stimmte. Ich rannte zum Schalter, aber die Maschine
     war schon fort. Ich rief Christiane an, verfluchte den Tuk-Tuk-Fahrer – und dann kam die Nachricht von dem Absturz der Maschine.
     Ich saß irgendwo auf einem Stuhl und konnte es nicht fassen. Meine Freunde, meine engsten Kollegen, Professor Anders, mit
     dem ich seit zwanzig Jahren zusammenarbeitete und den ich mehr als jeden anderen Menschen verehrte – alle tot. Erst als ich
     im Taxi saß und nach Bangkok zurückfuhr, konnte ich langsam wieder denken. Ich glaubte nicht an einen Zufall. Erst der Präsident
     und nun dies – nein, ich glaubtenicht an einen Zufall.« Er schüttelte den Kopf. »Es stand viel zu viel auf dem Spiel.«
    »Sie haben die Blaue Liste geschrieben«, sagte Dengler, »was stand in diesem Papier?«
    Stein sah ihn überrascht an.
    Plötzlich richtete sich der Schäferhund mit einem Satz unter dem Tisch auf und knurrte laut. Der Rottweiler rannte zur Tür
     und knurrte ebenfalls. Dann stand auch der dritte undefinierbare Köter neben dem Schäferhund und bellte.
    »Was haben sie denn plötzlich?«, fragte Christiane.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ihr Vater, »aber wir

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