Die blaue Liste
Arm.
Dengler sah Christiane zu, und er fühlte nichts anderes als Wärme und Liebe. Dann gaben seine Füße nach und er rutschte mit
dem Rücken die Wand hinab. Für einen kurzen Augenblick verlor er das Bewusstsein.
* * *
»Keine Polizei«, sagte Stein. Er lag auf der Couch im oberen Stock. Dengler verband seine Wunde.
»Keine Polizei«, wiederholte Stein.
Dengler nickte.
Er ging in den unteren Stock und untersuchte die drei Leichen. Keine Papiere. In der Hosentasche des Verbrühten befanden sich
die Autoschlüssel. Er überprüfte ihre Handys. Welche Nummern hatten sie zuletzt gewählt? Doch die Männer hatten vor dem Überfall alle Einträge gelöscht – Profis, dachte Dengler. Instinktiv entnahm er den
Apparaten die Chipkarten, obwohl er keine Möglichkeiten mehr hatte, die Daten darauf sichtbar zu machen, und steckte sie in
seine Hosentasche.
Christiane kam die Treppe herunter, als Georg sie zur Seite nahm.
»Wem hast du erzählt, dass du hierher fährst?«
Sie sah ihn erstaunt an. Dengler wiederholte die Frage.
»Niemandem habe ich davon erzählt«, sagte sie.
Dengler zog dem dritten Mann die Baumwollmaske vom Kopf. Ein schmales Gesicht, etwa fünfzig Jahre, fahlgelbe Haare, kurz geschnitten.Christiane schrie auf.
»Der saß mit mir im Flugzeug«, rief sie.
Dengler schob den schweren Sessel von dem Toten, der immer noch im Flur lag. Auch ihm zog er die Maske vom Gesicht.
»Der auch«, schrie sie.
Sachte berührte er sie an den Schultern und fragte: »Wem hast du erzählt, dass du hier bist?«
»Niemandem, Georg, wirklich niemandem, ich bin ja gleich losgeflogen. Mit niemandem habe ich darüber gesprochen, nur ...«
Entsetzen verzerrte plötzlich ihr Gesicht, und erneut flossen Tränen über ihre Wangen. »Mein Gott... nur Hans-Jörg.« Dengler
nickte.
»Wir müssen hier weg. So schnell wie möglich.«
* * *
Sie saßen im Wohnzimmer.
»Jemand muss die Schweine versorgen«, sagte Stein. »Nachbarn?«
Stein schüttelte den Kopf: »Ich lebe hier völlig zurückgezogen.«
»Ich kümmere mich darum.«
Christiane fuhr den Alfa mit den platten Vorderreifen zur Straße nach Crosseto und stellte ihn dort in einer Parkbucht ab.
Dengler zog die drei Leichen aus. Die Kleider stopfte er in einen großen grauen Müllsack. Unterwegs würde er in einer Mülltonne
verschwinden.
Dann zog er den ersten Toten hinüber in den Schweinestall. Stein kam hinzu und schloss die Tür auf. Gemeinsam wuchteten sie
die Leiche in den ersten Trog. Dann schleppten sie die beiden nächsten herbei und warfen sie hinterher. Als sieden dritten Toten über die Brüstung der Box warfen, schnupperten die Tiere bereits an dem Verbrühten.
Stein schlug ein Kreuz und betete still für einen Moment. Dann schloss er den Stall ab und steckte den Schlüssel ein.
Eine Stunde später saßen sie im Saab auf der Rückfahrt nach Stuttgart.
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46
Um Grenzkontrollen auszuweichen, wählte Dengler die Route durch Frankreich und vermied den schnelleren Weg durch die Schweiz.
Über Besançon, Mullhouse, Kehl und Karlsruhe kamen sie nach siebenstündiger Fahrt spätabends in Stuttgart an. Während der
Fahrt sprach keiner von ihnen. Christiane saß neben Dengler auf dem Beifahrersitz, und ihre linke Hand ruhte während der gesamten
Fahrzeit auf seinem Oberschenkel. Stein verbrachte die Fahrt auf dem Rücksitz. Er hing seinen Gedanken nach, hin und wieder
nickte er kurz ein.
Von Zuffenhausen kommend fuhren sie in die Stadt. Am Bahnhof lenkte Dengler den Saab nach rechts und stellte ihn auf dem Parkplatz
des Hotels an der Liederhalle ab.
»Es ist besser, wir bleiben hier, vorläufig«, sagte er, und Christiane nickte.
Sie mieteten zwei zusammenhängende Zimmer. Dengler ließ zwei Flaschen Chianti heraufbringen. Dann saßen sie zu dritt um den
kleinen Tisch.
»Mit der Angst vor einem solchen Überfall lebte ich all die Jahre«, sagte Stein und setzte das Glas mit dem Rotwein ab. »Als
ich am Flughafen von Bangkok saß und die ersten Informationen über den Absturz der Boeing sich zur Gewissheit verdichteten,
glaubte ich keine Sekunde an einen Zufall. Später, in Italien, habe ich alles gesammelt, was ich über das schreckliche Unglück
finden konnte. Und immer noch bin ich davon überzeugt, dass es ein geplanter Anschlag war. Ein hydraulisches Ventil schaltete
die Schubumkehr ein. Der Rückstoß der linken Turbine wurde über Gestänge nach vorne umgeleitet. Dieses kleine Ventil war gewissermaßen
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