Die Bleiche Hand Des Schicksals
auf parken. Dann drehte sie den Schlüssel und ließ den Motor an.
Das krächzende Husten des Motors überdeckte Russ’ »Hallo?«. Sie drehte wieder den Schlüssel. Der Motor klang, als würde er absterben. »Hallo?« Die blecherne, unverstärkte Stimme klang verärgert.
Sie beugte sich zum Beifahrerfenster und achtete darauf, das Mikro des Handys nicht zu verdecken. »Mrs. Rouse«, schrie sie. »Mit meinem Wagen stimmt etwas nicht. Er springt nicht an.«
Mrs. Rouse stand stocksteif da. Clare hielt sie für eine Frau, für die alle Notfälle, die Autos betrafen, Männersache waren. Und weit und breit kein Mann, der helfen konnte.
Die leise Stimme in ihrem Schoß fluchte mittlerweile. Clare machte weiter. »Ich möchte wieder aussteigen, aber ich habe Angst, dass Sie auf mich schießen. Bitte, nehmen Sie die Waffe runter.«
Russ war verstummt. Sie riskierte einen kurzen Blick nach unten. Der Anruf war nicht unterbrochen. Er hörte zu.
»Ich habe nicht bei der Polizei angerufen«, rief sie Mrs. Rouse zu. »Ich habe mein Versprechen gehalten. Darf ich aussteigen und mich zu Debba stellen?«
»Clare, sagen Sie mir, wo Sie sind.« Russ’ leise Stimme klang gedämpft, besorgt, dass jemand mithörte.
»Wenn Sie wollen, kann ich auch ins Haus der Clows gehen!«
Von ihrem Schoß hörte sie, wie Russ jemanden anwies, nach Powell’s Corner zu fahren.
Endlich traf Renee eine Entscheidung. »Kommen Sie hierher zurück«, sagte sie. »Langsam. Ich will Ihre Hände sehen.«
»Ich habe nichts in der Hand. Bitte nicht schießen.«
»Clare, können Sie das Handy verstecken? Schnippen sie zweimal für ja.«
Sie schnippte zweimal.
»Legen Sie nicht auf. Ich drücke die Stummtaste, damit mich niemand hören kann. Aber ich kann Sie hören. Ist es Renee Rouse? Mit einer Waffe?«
Sie schnippte zweimal.
»Gütiger Himmel.«
»Wieso brauchen Sie so lange?«, gellte Renee. »Ich habe Ihnen befohlen auszusteigen und hierherzukommen.«
Clare ließ das Handy in ihre Rocktasche gleiten und öffnete die Tür. Sie ging langsam und vorsichtig auf Debba zu. »Mrs. Rouse, Sie wollten mich gehen lassen. Bitte, ich flehe Sie an, lassen Sie Debbas Mutter und die Kinder gehen.«
»Ich habe schon nein gesagt. Das ist weit genug.« Sie richtete die Waffe auf Clare, die wenige Schritte vor Debba stehen blieb. Über das Dach von Mrs. Rouses Auto konnte sie Lillys Rücken sehen, um ihre Hüfte schlangen sich Whitleys dünne Beine. Einer der Gummistiefel des Mädchens war zu Boden gefallen. Renees Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf Clare, und Lilly bewegte sich Schritt für Schritt auf ihren Enkel zu. Debba sah es ebenfalls, und in Kürze würde auch Renee auffallen, was vor sich ging.
Clare begann, auf die Frau des Arztes zuzugehen. Renee runzelte die Stirn und zielte mit größerer Entschlossenheit auf Clare. »Bleiben Sie sofort stehen«, befahl sie. Clare ging noch einen Schritt weiter. »Ich sagte: Halt!«
Clare hob theatralisch die Arme. »Jesus!«, sagte sie. Drüben bei der Scheune hatte Lilly Skylar fast erreicht. Nur der Herr wusste, was für Geräusche die Kinder von sich geben mochten, wenn ihre Großmutter losrannte. Sie musste die Lautstärke erhöhen. »Jesus, richte Deine heilenden Kräfte auf diese Deine Diener«, heulte sie.
»Aufhören!«, kommandierte Renee. Debba hörte auf, ihre Mutter anzustarren, und wandte ihren Blick zu Clare.
»Schick hernieder die Macht des Allmächtigen und rette diese armen Sünder!« Sie konnte es. Vor hundert Jahren hatte ihr Urgroßvater Avery auf den Landstraßen Alabamas gepredigt. »Es ist die Sünde, die unsere Herzen mit Zorn und Furcht und Schmerz erfüllt! Sünde, die uns von unseren Liebsten trennt! Sünde, die uns dazu bringt, Deiner liebenden Fürsorge den Rücken zu kehren!«
»Aufhören! Sofort aufhören!« Renee näherte sich Clare, ihr Arm zitterte.
Clare fiel auf die Knie, ohne Rücksicht auf die scharfkantigen Kiesel. »Bete mit mir, Schwester Rouse! Bete mit mir, Schwester Clow!« Sie stürzte sich in die lauteste Hymne, die sie kannte. »Welch ein Freund ist unser Jesus. Er hat uns mit Gott versöhnet.«
Das Auto versperrte ihr die Sicht auf Lilly und die Kinder, aber sie wusste, wann es geschah. Debba stieß vor Angst und Erleichterung einen erstickten Schrei aus, und Renee wirbelte herum. Sie krächzte, sprachlos vor Wut, und drehte sich zu Debba und Clare zurück. »Aufstehen!«, brüllte sie. »Aufstehen!«
Clare verstummte und rappelte sich auf. Lilly und
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