Die Bleiche Hand Des Schicksals
das einzige Mädchen bist, mit dem ich jemals ausgegangen bin, ohne Sex mit ihr zu haben, nicht wahr? Ich komme mir vor wie ein bekehrter Wüstling in einem dieser Romane von Barbara Cartland.«
»So leuchtet eine edle Tat in einer bösen Welt.«
Er lachte. »Okay. Wenn ich eine Freundin dazu bringe, dich aufzunehmen, kommst du dann nach Ostern?«
»Aber sie wird nicht zu den unzähligen Mädchen gehören, mit denen du Sex hattest, okay?«
»Im Gegensatz zu dem, was du im Fernsehen siehst, wird New York noch nicht völlig von alleinstehenden Frauen überrannt, die verzweifelt mit einem heterosexuellen Investmentbanker schlafen wollen. Leider. Aber nein, ich denke, ich kann jemanden auftreiben, deren Gunst ich noch nicht genossen habe.«
»Vielleicht kennst du eine Nonne?«
»Eine lesbische Nonne.«
»Eine blinde, senile, lesbische Nonne. Mit einem furzenden Hund.« Sie lächelte in den Hörer.
»In Ordnung. Ich besorg dir eine Koje bei einer blinden, senilen, lesbischen Nonne, und du gehst mit mir zum Essen aus. Klingt gut.«
»Abgemacht.«
Sie verabschiedete sich lächelnd. Gespräche mit Hugh heiterten sie immer auf. Lois hatte recht, sie sollte den Kontakt regelmäßiger pflegen. Ihre Mutter würde ihn lieben.
Ihre Gegensprechanlage summte, und Lois’ Stimme ertönte im Büro, der Geist der Anrufe, die beantwortet werden mussten.
»Während Sie telefoniert haben, hat Karen Burns angerufen. Sie will mit Ihnen über diese Debba Clow reden. Außerdem hat sich Roxanne Lunt von der Historischen Gesellschaft gemeldet. Sie hat Informationen, die der Bibliothekar für Sie hinterlassen hat.«
Sie wusste nicht genau, was Karen wollte, aber es würde sicher länger dauern und weniger erfreulich sein als Roxannes Forschungsergebnisse. Sie rief die Leiterin der Historischen Gesellschaft an.
»Ich bin so froh, dass Sie sich melden!« Roxannes Energiepegel war seit ihrem letzten Gespräch keineswegs gesunken. »Schauen Sie, Sonny Barnes erzählte mir, Sie hätten sich nach der Hudson-River-Regulierungsgesellschaft und den Landverkäufen am Sacandaga erkundigt.«
»Sonny Barnes?«
»Unser Bibliothekar. Ich wette, er hat sich nicht vorgestellt, stimmt’s? Sonny steht den Herausforderungen des sozialen Umgangs ein wenig hilflos gegenüber.« Das war eine Untertreibung. »Aber was Ihre Erkundigungen betrifft?«
»Mich interessiert die Geschichte einer hiesigen Familie. Der Ketchems. Aber wie die Dinge liegen, fand ich erst vor kurzem heraus …«
Roxanne walzte weiter. »Hier, direkt in meiner Hand, halte ich die Akten der vor langer Zeit eingegangenen Adirondack-Landerschließungs-GmbH.«
»Und darin steht?«
»Sie war eine dieser Firmen, die wie Pilze aus dem Boden schossen, als die Regulierungsgesellschaft gegründet wurde. Es waren Bodenspekulanten, die mit Mitgliedern des Verwaltungsrats befreundet waren. Sie kauften Land, das überschwemmt werden sollte, und verkauften es mit nettem Profit an die Gesellschaft weiter. Außerdem schnappten sie sich Land, das zur Erschließung vorgesehen war.«
»Klingt nach einem Erfolgsrezept, wenn auch nicht eines, bei dem man nachts gut schlafen kann. Wie kam es, dass sie untergingen?«
»Das war ein riesiger, saftiger Skandal. 1932 ließen es die drei Partner und eine Meute Freunde in einer ihrer Fünfundzwanzig-Zimmer-Hütten richtig krachen. Auf der Party waren viele spärlich gekleidete Mädchen, keins davon eine Ehefrau, und am Ende des Abends waren zwei Frauen tot. Es gab Gerüchte über Orgien, das ganze Brimborium. Heutzutage würde man einfach zu einer dieser Talkshows gehen und sich tränenreich entschuldigen, aber damals war das nicht so einfach. Einer der Partner brachte sich um, und die Adirondack-Landerschließung ging bankrott.«
»Woher hat die Historische Gesellschaft die Firmenunterlagen? Sind die nicht vertraulich?«
»Die Originaldokumente haben wir gar nicht. Darum hat Sonny vermutlich nicht daran gedacht. Er verabscheut Kopien. Anfang der Achtziger hat eine Kriminalschriftstellerin, die hier den Sommer verbrachte, den Fall für ein Buch recherchiert. Sie bekam Kopien der Firmenunterlagen, und als sie fertig war, schenkte sie sie uns. War das nicht aufmerksam?«
»Ja.« Die Frage, was Jonathon Ketchem zugestoßen war, hatte sich geklärt. Ein Haufen Finanzunterlagen würde ihr nicht verraten, warum seine Frau ihn umgebracht hatte, um dann den Rest ihres Lebens darauf zu bestehen, dass er tot war, und seinem Namen ein lebendes Denkmal zu setzen.
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