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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Lippenstift war der einzige Farbtupfer in ihrem bleichen Gesicht. »Können wir … können wir ihn richtig beerdigen?«
    »Natürlich«, versicherte Clare.
    »Wann kann ich seine Leiche haben?«, fragte Mrs. Marshall Dr. Dvorak. Der sah Russ an.
    »Ich würde gern noch ein paar Tage warten«, sagte Russ. »Einige Police Departments überprüfen noch alte Fälle, nur um sicherzugehen. Sobald ich von denen gehört habe, kann Emil Ihnen die Überreste freigeben.«
    »Haben Sie noch weitere Fragen, die ich beantworten kann?«, fragte Dr. Dvorak.
    Mrs. Marshall senkte den Blick auf ihre Handtasche in ihrem Schoß. »Ich glaube … im Augenblick möchte ich einfach nach Hause. Falls ich noch Fragen habe …«
    »Rufen Sie mich jederzeit an. Bitte.«
    Alle erhoben sich, als Mrs. Marshall aufstand; Russ hievte sich auf seine Krücken, Dr. Dvorak stützte sich auf seinen Stock.
    Clare hatte Gelegenheit, Russ hinter Mr. Madsens Rücken zuzuflüstern: »Ich rufe Sie später an«, ehe sie sich dem allgemeinen Aufbruch anschloss.
    Im Lincoln, dessen Rücksitz weich und bequem wie ein Sofa war, rückte Clare nach vorn, bis ihre Schultern zwischen den Vordersitzen klemmten. »Sie haben jetzt eine Menge Neuigkeiten zu verdauen.«
    Mrs. Marshall schüttelte den Kopf. »Ich habe das Gefühl, als hätte ich vor einem Bild von Escher gestanden. Kennen Sie ihn? Zeichnungen von Menschen, die unmögliche Treppen hinaufsteigen.«
    Clare nickte.
    »Man glaubt, man sieht Vögel, und ganz plötzlich merkt man, dass es Fische sind. So fühlt es sich an.« Sie blickte zu Norm Madsen hinüber. »Du kanntest meine Mutter. Du warst ihr Anwalt, um Himmels willen. Hättest du dir jemals vorstellen können, dass sie jemanden ermordet? Von ihrem Ehemann ganz zu schweigen?«
    Mr. Madsen ließ sich Zeit, ehe er antwortete. »Die Menschen tun überraschende Dinge, Lacey.«
    Clare dachte daran, was er nach jener Sitzung des Gemeindevorstands zu ihr gesagt hatte, bei der ihre Begegnung mit Jane Ketchem ihren Anfang genommen hatte. Sie war die einzige Frau, die mir jemals Angst eingejagt hat. Und die Tatsache, dass sie tot ist, hat diese Angst nicht geringer werden lassen.
    »Niemals …« Mrs. Marshall musterte ihren alten Freund genauer. »Sie hat nie mit dir darüber gesprochen?«
    Mr. Madsen riss tatsächlich seinen Blick von der Straße los und sah sie an. »Guter Gott! Natürlich nicht.«
    Sie ließ sich einen Moment in ihren Sitz sinken und richtete sich dann wieder auf. Sie drehte sich um und sah Clare an. »Erinnern Sie sich, was Allan sagte? An dem Tag, als wir ihn besucht haben? Über meine Mutter?«
    »Er sagte, Sie hätten keine Vorstellung, was die Klinik Ihrer Mutter bedeutete.«
    »Glauben Sie, er wusste davon? Glauben Sie, sie hat es ihm erzählt?« Sie presste ihre spindeldürren Hände an die Wangen. »O mein Gott, was, wenn er all die Jahre gewusst hat, was meinem Vater zugestoßen ist, und es mir nie erzählt hat?«
    Clare rieb Mrs. Marshalls Arm mit den Knöcheln. »Selbst wenn er etwas über den Tod Ihres Vaters wusste, hat er sicher nur geschwiegen, um Ihre Gefühle zu schonen. Er muss gewusst haben, wie sehr Sie Ihre Mutter liebten. Er wollte nichts tun, was Ihre Erinnerung an sie trübt.«
    Mrs. Marshall schloss einen Moment lang die Augen. »All die Jahre habe ich geglaubt, er hätte mich verlassen. Ich glaubte, mein Vater hätte mich im Stich gelassen.« Sie schlug ihre blassen blauen Augen auf, und Clare war erschüttert, wie sehr der Schmerz eines alten Menschen dem Schmerz eines ganz jungen glich. Verwundbarkeit und Ungläubigkeit und keine Möglichkeit, sich davor zu verstecken.
    »Aber das hat er nicht. Er wurde mir genommen, aber er hat mich nicht verlassen. Ich habe die ganze Zeit geglaubt …« Sie zwinkerte, und die Tränen rannen über ihre Wangen und sammelten sich in den weichen Falten ihrer Haut. »Als ich ein kleines Mädchen war, hat er mir oft gesagt, dass er mich liebt. Und ich habe ihm seit Jahren, Jahren, nicht mehr geglaubt. Aber er hat die Wahrheit gesagt. All diese Jahre.« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Er hat mich nicht verlassen.«
    Als Clare in ihrem Büro eintraf, wartete Lois schon mit einer Handvoll rosa Zetteln mit Nachrichten auf sie. »Wenn Ihnen jemand Zeitungsausschnitte schickt, denken Sie daran, mir Kopien für das Sammelalbum der Gemeinde zu geben«, bemerkte Lois, als sie sie überreichte.
    »Klar«, erwiderte Clare. »Guter Lesestoff für den nächsten Priester. Eine Liste der Dinge,

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