Die Bleiche Hand Des Schicksals
jährliche Budget, das sie letzten Monat zusammengebastelt hatten. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie aus diesem Stein noch etwas herauspressen sollte. »Vorschläge?«
»Stellen Sie die Sozialprojekte ein«, schlug Sterling vor. »Wenn etwas wirklich wichtig ist, werden die Leute die Lücke mit Geld-und Zeitspenden überbrücken.«
»Nein!«
Clare schoss von ihrem Stuhl hoch, der hinter ihr auf dem Perserteppich ins Schaukeln geriet.
Sterling nestelte an seiner Krawatte. »Es ist ja nicht so, als ob die Suppenküche ohne uns zusammenbrechen würde. Und ich bin sicher, dass die unverheirateten minderjährigen Mütter weiter Babys bekommen, egal, ob wir sie nun ›anleiten‹ oder nicht.«
»Sterling«, sagte Mrs. Marshall warnend.
»Nun, sie tragen nicht gerade viel zum Wohl der Gemeinde bei«, betonte er.
Clare stützte sich mit den flachen Händen auf den Tisch. »Die Sorge für Arme, Kranke und Einsame ist eigentlich der Knackpunkt bei diesem Christending, Sterling.« Sie erkannte das boshafte Glitzern in seinen Augen und wusste, dass sie ihm auf den Leim gegangen war. »Und Sie provozieren absichtlich.« Sie setzte sich hin. »Nächster Vorschlag.«
Alle schauten im Zimmer umher, als könnten sich Tausende von Dollars in der Luft materialisieren.
»Wie steht es mit Aktien?«, fragte Geoff Burns. »Hat die Kirche irgendwelche Nieten in ihrem Portfolio, die wir verkaufen könnten?«
McKellan schüttelte den Kopf. »Nicht, ohne unser ohnehin bescheidenes Stiftungsvermögen zu verschleudern.«
»Aha.« Burns sank auf seinen Stuhl zurück. Clare betrachtete den mit Leder gepolsterten Eichenstuhl, einen von zwölf in diesem Raum. Vielleicht mussten sie gar nichts versteigern lassen. Sie konnten es über eBay abwickeln. Mrs. DeWitt, die siebzigjährige Webmasterin von St. Alban’s, war Profiseller.
»Es bestünde die Möglichkeit …« Mrs. Marshalls Stimme stockte. Clare setzte sich aufrechter hin. Die ältere Frau gehörte zu den stilleren Teilnehmern ihrer Versammlungen, aber wenn sie etwas zu sagen hatte, trug sie es selbstbewusst vor. Clare hatte sie noch nie so unsicher erlebt.
Mrs. Marshall blickte auf die Vermögensaufstellung vor sich hinab. »Ich nehme an, ich könnte die Ketchem-Stiftung liquidieren.«
Norm Madsen schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nein, nein, nein. Das kommt überhaupt nicht in Frage.«
Diese deutliche Entschiedenheit passte überhaupt nicht zu Mr. Madsen, dem großen Wortklauber des Gemeindevorstands. »Was ist die Ketchem-Stiftung?«, fragte Clare. »Ich kann mich nicht erinnern, den Namen in unserer Vermögensaufstellung gelesen zu haben.«
»Das liegt daran, dass sie nicht St. Alban’s gehört«, erwiderte Mr. Madsen.
»Aber sie könnte«, sagte Mrs. Marshall.
»Ist das nicht das Geld …«, begann Sterling Sumner.
Mr. Madsen unterbrach ihn. »Es liegt kein entsprechender Anlass vor, die Stiftung aufzulösen.«
»Ich entscheide, ob ein entsprechender Anlass vorliegt.« Jetzt klang Mrs. Marshall mehr wie sie selbst, aber Clare hatte den ältlichen Anwalt nie so aufgewühlt erlebt. Sie blickte sich am Tisch um. Terry McKellan und Robert Corlew verfolgten den Wortwechsel mit verblüfften Mienen. Geoff Burns kritzelte Notizen in seinen Palm, ganz offensichtlich, um sich zu beschäftigen, bis jemand ihn aufklärte. Demnach war es keine Information, die jeder im Gemeindevorstand kannte und nur vergessen hatte, ihr mitzuteilen.
Sterling riet Mrs. Marshall, an sich selbst zu denken, und Mr. Madsen murmelte etwas Unverständliches über »Nutznießung« und »übertragen«.
Robert Corlew hatte sich vorgebeugt und flüsterte Terry McKellan etwas zu.
»Entschuldigung«, sagte Clare. »Leute?« Sie hätte genauso gut Selbstgespräche führen können. Geoff Burns sah sie an und verdrehte die Augen. Sie beugte sich vor. »Entschuldigung«, sagte sie mit durchdringender Stimme, die das Dröhnen eines Hubschraubers übertönt hätte.
Schweigen senkte sich über den Raum. »Danke. Mrs. Marshall, einige von uns brauchen eine Erklärung. Was ist die Ketchem-Stiftung?«
Norm Madsen öffnete den Mund, aber Mrs. Marshall sagte: »Lass mich erklären, Norm.« Sie wandte sich an Clare. »Es ist eine Stiftung, die meine Mutter bei ihrem Tod hinterlassen hat. Ich bin die einzige Treuhänderin und kann entscheiden, ob die Stiftung aufgelöst und das Vermögen den Nutznießern übergeben wird.«
»Wer ist …?« Clare ahnte, wohin das führen würde.
»Falls – wenn – die
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