Die Bleiche Hand Des Schicksals
Harlene. Machen Sie weiter meine Arbeit für mich.«
Sie schnaubte. »Eines Tages wird auch in dieser Dienststelle ein weiblicher Officer arbeiten, und dann werden Sie merken, dass nicht ich so großartig bin, sondern dass Frauen von Natur aus klüger sind als Männer.«
»Daran habe ich noch keine Sekunde gezweifelt. Ich habe so eine Ahnung, was den Doc betrifft, ich geh dem mal nach. Ich melde mich so bald wie möglich zurück.«
»Verstanden. Ich gebe Bescheid, falls einer der Jungs ihn in der Zwischenzeit finden sollte.«
Er verabschiedete sich und legte auf. Er stand einen Augenblick einfach da, die Stummelantenne des Telefons berührte leicht seine Stirn, wie ein meditierender Finger. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass Debba Clows überraschendes Erscheinen bei Clare irgendetwas mit dem ebenso überraschenden Verschwinden von Dr. Rouse zu tun hatte. Aber er war seit einem Vierteljahrhundert Polizist, sowohl beim Militär als auch im Zivilleben, und er hatte gelernt, auf die kleinen Ideen zu vertrauen, die gelegentlich vom Grund seines Verstandes aufstiegen. Er wählte erneut Clares Nummer.
Diesmal erreichte er ihren Anrufbeantworter.
Er lauschte ihrer elektronisch verzerrten Stimme, die ihn auf Büro-und Handynummer verwies, und nachdem er gebeten worden war, eine Nachricht zu hinterlassen, sagte er: »Clare, Russ am Apparat. Bitte nehmen Sie ab. Ich muss …«
»Hi, ich bin’s. Was ist denn los?«
»Ist Debba Clow noch bei Ihnen?«
»Ja, und wir führen ein sehr intensives Gespräch, deshalb kann ich wirklich …«
»Ich rufe nicht an, um mit Ihnen zu plaudern, ehrlich. Ich möchte gern mit Debba reden.«
Clares Ton wurde wachsam. »Warum?«
»Sagen Sie ihr einfach, ich würde gern mit ihr sprechen. Bitte.«
»Okay …«
Während er darauf wartete, dass sich jemand meldete, ging er nach oben in sein Schlafzimmer. Er zog eine Jeans aus dem Kleiderstapel auf einem Stuhl. Nach kurzem Nachdenken nahm er auch das Uniformhemd an sich, dass er am Tag getragen hatte. Er hoffte, dass er beides nicht anziehen müsste.
»Sie möchte im Augenblick lieber nicht mit Ihnen reden.« Clare versuchte, neutral zu klingen, professionell, aber er konnte einen Anflug von Besorgnis in ihrer Stimme hören. »Können Sie mir sagen, worum es geht?«
»Können Sie mir sagen, warum sie so dringend mit Ihnen sprechen musste, dass sie nicht bis morgen warten konnte?«
Sie atmete heftig aus. »Sie wissen, dass ich nicht weitergeben darf, was mir unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses anvertraut wird.«
»Sie gehört nicht zu Ihrer Glaubensgemeinschaft.«
»Russ, ich bin nicht nur Priesterin für ausgewiesene, eingeschworene Episkopalisten. Ich bin Priesterin für jeden, der mich braucht. Meine Verpflichtung bleibt dieselbe.«
Er lächelte fast. »Ich weiß.« Ihm kam der Gedanke, ihr von Allan Rouse zu erzählen. Gefolgt von der Vorstellung, wie sie es Debba erzählte, und Debba verschwand, bevor er oder irgendein anderer die Möglichkeit hatte, sie zu fragen, was sie über den Verbleib des Arztes wusste. »Schon in Ordnung. Tut mir leid, dass ich Ihr Gespräch gestört habe.«
»Russ.« Ihre Stimme schwankte zwischen Ärger und Sorge. Die Sorge setzte sich durch. »Was ist los? Kann ich Ihnen helfen?«
Jetzt lächelte er wirklich. »Im Augenblick nicht. Aber ich sage Ihnen Bescheid. Später.«
»Okay.« Sie wurde leiser. »Später.«
Er ließ das Telefon aufs Bett fallen und zog das Sweatshirt aus. Er hatte recht behalten. Er musste sich doch wieder anziehen.
12
A ls Russ seinen Pick-up vor Clares Haus ausrollen ließ, stand Debba Clows Toyota Camry immer noch in der Einfahrt. Er stieg aus, schlüpfte in seinen Parka und stülpte sich eine Wollmütze auf den Kopf. Am klaren Nachthimmel stand der Vollmond, die Sterne leuchteten, und die Temperatur, die tagsüber bei Sonnenschein ein paar Grad über den Gefrierpunkt gestiegen war, war wieder auf unter minus zehn gefallen.
Zwischen den Autos und den gefrorenen Schneehaufen an den Rändern der Einfahrt blieb kaum genug Platz, um sich hindurchzuquetschen. Die schweren, massiven Schneehaufen, die in vier Monaten Räumarbeit aufgetürmt worden waren, rutschten nach vorn wie Gletscher, die auf ihren schmelzenden Sockeln dahinglitten. Clares Haustür, geschützt von einer anmutigen Veranda, war vollkommen unerreichbar, es sei denn, man besaß eine Industrieschneefräse. Er polterte die Hintertreppe zur Küchentür hinauf.
Die Tür öffnete sich, ehe er klopfen
Weitere Kostenlose Bücher