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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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ausgesprochen. Sie ließ seine Hand los, stopfte ihre Fäustlinge in die Tasche und erhob sich. »Auf geht’s«, sagte sie.
    Sie brauchten fünfundvierzig Minuten, nicht zwanzig. Sie stützten sich aufeinander, ihr Arm soweit es ging um seinen Rücken geschlungen, sein Arm über ihrem Nacken und ihren Schultern, die Hände in den Parka des anderen gekrallt. Sie machte einen Schritt, er hüpfte. Er biss die Zähne gegen die pochenden Schmerzen in seinem Bein zusammen, aber bei jedem vierten oder fünften Schritt stieß sein nutzloser linker Fuß gegen den harten, klumpigen Schnee, und er fluchte lauthals. Er entschuldigte sich immer wieder für die Kraftausdrücke, bis Clare ihn anpfiff, sie würde ihm die Zunge rausreißen und ihn damit auspeitschen, wenn er nicht damit aufhörte. Sie sprachen nicht, abgesehen von Dialogen wie: »Soll ich Ihnen den Stiefel ausziehen?«
    »Nein.«
    »Es könnte Ihnen dann leichterfallen, das Bein hochzuhalten.«
    »Ich will nicht, dass Sie mir den verdammten Stiefel ausziehen.«
    Zweimal stürzten sie.
    Beim ersten Mal spürte er, wie Clare das Gleichgewicht verlor, und riss seinen Arm weg. Sie ließ seinen Parka fahren, und er schaffte es, sich zur Seite zu drehen und auf seine unverletzte rechte Seite zu fallen. Die Gewalt des Aufpralls vibrierte in seinem gebrochenen Bein wie ein Zahnbohrer, und er musste ein paar Minuten liegenbleiben, in denen er keuchend um Selbstbeherrschung rang, während Clare sich immer wieder entschuldigte. Beim zweiten Mal hüpfte er, kam falsch auf und fiel auf den Rücken, wobei er Clare am Hals mitzerrte. Als er wieder sprechen konnte, fragte er, ob es ihr gut ging.
    »Ich hasse Schnee«, antwortete sie. »Ich hasse, hasse, hasse ihn. Eis auch.«
    Er konnte nichts dagegen tun. Er lachte. Sein ganzer Körper schmerzte, und er lachte und lachte, während sie herumrollte, auf die Beine kam und ihn hochzog. Er lachte, bis ihm die Luft ausging, stand dann benommen und keuchend da und klammerte sich an ihren Schultern fest.
    »Langsam, langsam«, mahnte sie. »Holen Sie tief Luft.« Das tat er. »Besser?«, fragte sie. »Wir sind fast da.«
    Und so war es. Auch wenn die letzten Meter, den Pick-up vor Augen, eine Qual waren. Was ein zwanzigsekündliches Schlendern an der Straße entlang gewesen wäre, dehnte sich zu einer fünfminütigen Folge von Schritt-Hüpfer-Schritt-Hüpfer-Schritt.
    »Fast da«, sagte sie erleichtert.
    »Ich weiß, dass wir fast da sind«, knurrte er.
    Als sie den Pick-up erreichten, lehnte er sich an das Führerhaus, während Clare den Schlüssel aus seiner Tasche zerrte und die Türen aufschloss. Sie schob den Beifahrersitz so weit wie möglich nach hinten, und als Russ auf dem Boden der Fahrerkabine saß, verschränkte sie ihre Finger zu einer Steighilfe. Er setzte den gesunden Fuß auf ihre Hände und schob sich hoch, stemmte sich in den Sitz.
    »Haben Sie irgendwas, womit wir Ihren Fuß abstützen können?« Sie zuckte zusammen, als sein linker Fuß gegen die Fußmatte stieß und er wieder fluchte.
    »Lassen Sie uns einfach abhauen.« Er lehnte sich zurück und schloss die Augen, während sie einstieg und den Motor anließ. Er fühlte sich, als hätte er soeben die Ziellinie eines Zehn-Meilen-Rennens überquert, schweißüberströmt und vor Erschöpfung zitternd. Er konzentrierte sich darauf, tief und gleichmäßig zu atmen. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Der Pick-up rüttelte durch ein Schlagloch, und er stieß zischend die Luft aus.
    »’tschuldigung«, sagte Clare. Er antwortete nicht. Konzentrierte sich nur auf seine Atmung, hielt sich den Schmerz nicht vom Leib, denn der kam in Wogen, wie Wellen, die gegen eine Bootsseite schlagen, aber er beherrschte ihn, ließ ihn nicht überschwappen.
    Clare fragte weder, wie es ihm ging, noch versuchte sie ihn durch Plaudern abzulenken, und der Teil von ihm, der noch denken konnte, war dankbar für ihr Schweigen. Er hielt die Augen geschlossen. Er konnte hören, wie das Rumpeln der Landstraße dem Zischen und Dröhnen des Verkehrs Platz machte. Sie bremsten, warteten, rollten, bremsten, warteten, rollten. Sie fuhren über eine Straßenschwelle und nahmen eine Kurve bergauf. »Wir sind da«, sagte sie leise, und er schlug die Augen auf und erkannte, dass sie auf der Zufahrt der Notaufnahme standen. »Ich hole jemanden«, sagte sie, und er schloss wieder die Augen, als sich ihre Tür öffnete und zufiel. Er hatte Zeit für vier tiefe Atemzüge, ehe sich seine Tür öffnete und eine

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