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Die Bleiche Hand Des Schicksals

Die Bleiche Hand Des Schicksals

Titel: Die Bleiche Hand Des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Sie verschränkte die Arme über ihrem tiefliegenden Busen und vergrub die Hände in den Ärmeln ihres Sweatshirts. »Jeder möchte irgendjemandem oder irgendetwas die Schuld geben, wenn ihm etwas Schlimmes zustößt. Meiner Meinung nach muss man lernen, herauszufinden, ob wirklich etwas falsch gemacht wurde. Sonst wird man wahnsinnig. Niemand kann mit der Überzeugung leben, dass die Person, die einen verletzt hat, nicht weit ist, gerade so außer Reichweite. Das treibt einen in den Wahnsinn.«

25 Sonntag, 26. März, dritter Fastensonntag
    U nd in der Fürbitte beten wir für die Genesung von Lauraine Johnson, die vor kurzem operiert worden ist; für Roger Andernach, der in ein Pflegeheim eingeliefert wurde; für David Reid und Beth Reid, die mit Zwillingen im Wochenbett liegt; für Renee Rouse und Dr. Allan Rouse, der noch immer vermisst wird; für Russ Van Alstyne, der sich das Bein gebrochen hat. Bitte ergänzen Sie Ihre eigenen Gebete und Anliegen.« Nathan Andernach, Küster von St. Alban’s, hielt inne. Von der Gemeinde stieg ein schwer verständliches Murmeln auf. Namen. Der Vorschlag für eine Fürbitte. Jemand sagte entschlossen: »Für alle Männer und Frauen, die den Streitkräften unseres Landes dienen.«
    Clare lächelte, aber in Gedanken war sie bei Allan Rouse. Er wurde mittlerweile seit neun Tagen vermisst. Zu Beginn hatte der Post-Star mehrere Artikel veröffentlicht, die kurz waren, kaum Informationen gaben, und sie waren Tag für Tag noch kürzer geworden, bis sie schließlich ganz ausblieben. Die übereinstimmende Meinung beim Donnerstagstreffen des Verwaltungskomitees lautete, dass er, wie Dr. Anne es unverblümt formuliert hatte, »abgekratzt war«. »Es baut sich über Jahre auf«, hatte sie den übrigen Komiteemitgliedern versichert, die die Prospekte der Spendenkampagne ungelesen auf dem Tisch liegen ließen und stattdessen das aktuellste Ereignis der Stadt zerpflückten. »Besonders, wenn Ärzte allein praktizieren. Niemand ist da, mit dem man sich beraten kann, niemand hilft einem. Jede falsche Entscheidung, jede Abkürzung, die man genommen hat, jeder Patient, den man weggeschickt hat und bei dem man sich fragt, ob man ihm doch hätte helfen können – manchmal kann es einen runterziehen. Manche Ärzte sind selbst medikamentenabhängig. Manche setzen sich in Florida zur Ruhe und gehen Angeln. Und manche …« Sie war sich mit dem Finger über die Kehle gefahren.
    »Herr, lass Deine unendliche Güte jenen zuteil werden«, betete Nathan.
    »Die ihr Vertrauen in Dich setzen«, antwortete die Gemeinde.
    »Wir bitten um die Vergebung unserer Sünden«, betete Nathan. Er neigte den Kopf und trat vom Pult zurück.
    Clare eilte in die Gegenwart zurück, ihre Hände ruhten auf dem weichen weißen Leinen des Altartuchs, und lauschte den Geräuschen – Poltern, Ächzen, Seufzen – von hundert Menschen, die auf die Knie sanken. »Schenk uns Deine Gnade, barmherziger Vater«, begannen sie. Das gemeinsame Sündenbekenntnis nahm seinen Lauf, flüssig und ungestört, anders als die zögernden Sätze und tränenreichen Unterbrechungen, die sie in der Intimität ihres Büros hörte, wenn die Menschen, jeder für sich, mit ihren Fehlern, mit Hässlichkeit und unschönen Wahrheiten in ihrem Innersten rangen.
    Ein »Amen« ertönte, und die Kirche verfiel in Schweigen. Köpfe wurden gesenkt, Gesichter mit gespreizten Händen bedeckt oder mit geschlossenen Augen aufwärts gewandt. In der Erwartung, dass sie ihnen ihre Sünden vergab. Sie schlug die Saite der Barmherzigkeit in ihrem Innersten an, ließ sie widerhallen, bis sie sich selbst als kleine Spiegelung der Großen Gnade fühlte. »Möge unser Gott, der stets Gerechtigkeit durch Gnade mildert, seine Vergebung über euch ausgießen«, sagte sie. »Eure Sünden hinfortwaschen, euch Kraft verleihen, all die guten Taten zu tun, die euch Tag für Tag und Stunde um Stunde dem ewigen Leben näher bringen.« Sie schob die langen, weiten Ärmel ihrer Albe hoch, damit sie nicht die Gerätschaften auf dem Altar vor ihr umstieß, und zeichnete ein großes Kreuz in die Luft. »Im Namen des Schöpfers, Erlösers und Trösters, amen.«
    »Amen«, klang es zurück.
    Das Geräusch von hundert Menschen, die sich für den Segen und die Ankündigungen erhoben – zischelnde Eltern, das Rascheln von Mitteilungsblättern, Gebetbücher, die zu Boden fielen –, war lauter als jeder andere Teil des Gottesdienstes.
    »Der Friede des Herrn sei mit euch«, sagte Clare

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