Die Bleiche Hand Des Schicksals
grüßte Clare, als die ältere Frau die Haustür öffnete. Mrs. Marshall änderte ihren Gesichtsausdruck von offensichtlicher Überraschung in ein höflicheres Willkommenslächeln. »Darf ich eine Sekunde hereinkommen?« Clare trat in die Diele. »Tut mir leid, dass ich nicht vorher angerufen habe, mir kam einfach die Idee und ich … oh! Hallo, Mr. Madsen.« Norman Madsen lächelte ihr von der Esszimmertür aus zu. Wir laden uns nicht selbst bei anderen Leuten ein, junge Dame, sagte Großmutter Fergusson. »Oh.« Clare spürte, wie ihre Wangen rosa anliefen. »Ich störe, fürchte ich.«
»Unsinn«, erwiderte Mrs. Marshall. »Wir haben gerade unser Mittagessen beendet. Trinken Sie doch einen Kaffee mit uns. Ist Ihre Heizung schon repariert worden? Sie hatten doch Anfang der Woche ein Problem damit, oder? Wissen Sie, Sie sollten die Rechnung aufheben und dem Gemeindevorstand vorlegen. Wir würden sie übernehmen.«
Nun, richten Sie dem Kirchenvorstand aus, dass ich ihnen das Haus abnehmen und zu einem guten Preis verkaufen kann, falls sie jemals Geld brauchen sollten. »Es ist nicht so teuer, dass es sich lohnen würde, den Gemeindevorstand einzuschalten«, log Clare. »Hi, Mr. Madsen.«
»Großartige Predigt heute Morgen«, bemerkte Mr. Madsen, während er sie zu dem Tisch mit den abgerundeten Kanten führte. »Lacey und ich haben uns gerade darüber unterhalten. Wir finden beide, dass Sie den Nagel auf den Kopf getroffen haben, als sie von Überfluss und Mangel sprachen.«
»Wie schwierig es ist, ein wahres Opfer zu bringen, wenn man alles im Überfluss besitzt«, verdeutlichte Mrs. Marshall. Die Essteller waren abgeräumt worden, und ein Tablett mit einem Kaffeeservice stand neben Mrs. Marshalls Stuhl. Es war aus Silber, die Teile mattiert und geschwungen wie die Stoßstangen eines Cadillac. Hochzeitsgeschenk, dachte Clare. Mrs. Marshall deutete auf einen Stuhl ihr gegenüber am Tisch. »Bitte, setzen Sie sich. Kaffee?«
Einen Augenblick war Clare versucht zu fragen, ob sie irgendwelche Reste hätte. Der Duft von Schweinebraten, der aus der Küche herüberwaberte, machte ihr den Mund wässrig. »Ja bitte«, sagte sie und bewies damit, dass es nach wie vor wahre Opfer gab.
»Die Welt war eine andere, als wir heranwuchsen«, sagte Mr. Madsen, der seine Tasse zum Einschenken hochhielt. »Ich kann mich erinnern, dass es zu Weihnachten nur drei Spielzeuge gab – eines von meinen Eltern, und jeweils eines von den beiden Großeltern. Und Socken oder Fäustlinge oder ein paar Süßigkeiten.«
»Und du gehörtest zu den reichen Kindern der Stadt«, sagte Mrs. Marshall »Milch?« Sie reichte ihm das Kännchen.
»Stimmt, so war es wohl.« Er goss einen großzügigen Schuss in seinen Kaffee. »Aber es geht darum, dass es mir wirklich weh tat, wenn ich etwas aufgeben musste. Und wenn ich etwas bekam, wusste ich das ehrlich zu schätzen. Als ich ein Junge war, passte mein gesamtes Spielzeug in eine Kiste von der Größe eines kleinen Koffers. Sie sollten mal die Zimmer meiner Urenkel sehen. Dort sieht es aus wie bei Toys’R’Us.«
»Milch?«, wandte sich Mrs. Marshall an Clare.
»Nein, danke«, erwiderte sie und griff nach der Zuckerdose. Sie sah über den Tisch hinweg Mrs. Marshall an, die sich selbst eine Tasse einschenkte. »Komisch, dass Sie über Ihre Kindheit gesprochen haben, denn ich hätte eine Frage an Sie. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Worum geht es denn?«
Es schien kein guter Anfang, eine Salve in ein sensibles Thema zu feuern, deshalb sagte Clare: »Ich betreue eine junge Frau, die Zweifel daran hat, ob es richtig ist, ihr jüngstes Kind impfen zu lassen. Ich möchte ein besseres Gefühl für das bekommen, was in diese Entscheidung einfließen könnte, und ich hoffte, ich habe mich gefragt …«
»Ob ich Ihnen mehr über die Entscheidung meiner Eltern erzählen könnte?«, fragte Mrs. Marshall.
»Ich kann verstehen, wenn Sie nicht darüber reden wollen.«
»Ich weiß nur nicht, ob ich Ihnen etwas Nützliches sagen kann. Meine Großmutter Ketchem erzählte mir, dass man Kinder damals nicht im Voraus geimpft hat. Man bekam das Serum erst, wenn man krank wurde. Denken Sie daran, es war vollkommen neu. Antidiphtherieseren waren in diesem Land noch nicht erhältlich, als mein Bruder Peter und meine Schwester Lucy geboren wurden.«
»Die Menschen gingen damals später zum Arzt, glaube ich«, sagte Mr. Madsen. »Heutzutage rennen wir zum Arzt, sobald wir nur einen kleinen Stich spüren. In jener
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