Die Blendende Klinge
das gelbe Deck für Kip bereitgelegt.
»Danke, ich verzichte«, erwiderte Kip.
Dünne Brauen zeigten sich kurz über dem Rand von Andross Guiles großen schwarzen Brillengläsern. »Ah, du hast dein eigenes Kartendeck? Zeig es mir.«
»Die Karten tragen die Blindenmarkierungen«, sagte Kip. »Hier.« Er reichte ihm eine einzelne Karte.
Andross rieb über die Ecke, wo die Markierungen angebracht waren, als suche er nach einem Grund, die Karten zurückzuweisen, aber es war perfekte Arbeit. Darunter tat es Janus Borig nicht.
Kip erwartete halb, dass der alte Mann ihm mitteilte, dass er keine anderen Karten nehmen dürfe. Es war eine Regel, die sie bisher nie angesprochen hatten.
»Wenn irgendeine der Karten keine Markierungen aufweist, dann lehne ich das gesamte Kartendeck ab, und du hast verloren, verstanden?«, knurrte Andross.
»Verstanden.«
»Ich habe mich schon gefragt, wie lange es wohl dauern würde, bis du dir endlich dein eigenes Deck besorgst«, fügte Andross hinzu. »Du warst langsamer, als ich erwartet habe.«
»Mh-hm«, murmelte Kip. Die Beleidigung machte ihm nichts aus, nicht wenn er zugleich den viel größeren Sieg errungen hatte, seine eigenen Karten benutzen zu dürfen. »Soll ich anfangen?« Kip hoffte, dass der Alte ihm widersprechen und selbst anfangen würde.
Ein großmütiges Lächeln. »Nur zu.«
Also wählte Kip als Spielfeld »draußen«. »Draußen« machte es schwerer, das Licht zu kontrollieren, und war daher für gewöhnlich eine gute Entscheidung im Kampf gegen Rot. So viele Lichtquellen im Hausinneren waren Fackeln oder Feuer – Lichtquellen, die problemlos Gelb, Rot und Infrarot zur Verfügung stellten –, dass es für Grün- und Blauwandler »drinnen« schwieriger war, ihre Zauber einsetzen zu können.
Aber dass Kip anfing, bedeutete, dass Andross eine Extrakarte ziehen durfte.
Sie richteten das Spielfeld schnell ein, die Motive auf den Karten gaben ihnen eine imaginäre Umgebung vor – vor den roten Mauern einer Burg. Gras, ein Wald. Natürlich blauer Himmel. Das war ihr Material, aus dem sie beide wandeln konnten, aber Kip befand sich auf der Waldseite, und so konnte er schneller daraus wandeln, schneller auf die Energie für sein Grünwandeln zugreifen, während das Umgekehrte für Andross und die roten Mauern zutraf.
Jetzt, nachdem Kip die Regeln gelernt hatte, spielte Andross eine schnelle Variante des Spiels. Es gab zwei winzige Sanduhren, die jeweils nach fünf Sekunden abgelaufen waren. Da er die Körner nicht durch das Glas rinnen sehen konnte, hatte sich der Luxlord ein außergewöhnliches Modell anfertigen lassen, bei dem jedes Mal, wenn bei einem Spieler die Zeit abgelaufen war, eine Glocke ertönte. Wer nicht innerhalb dieser fünf Sekunden spielte, hatte seine Runde verloren. Der Luxlord pflegte zu sagen, dass die Wandler einander im wirklichen Leben gleichzeitig bekämpften, dabei so schnell wandelten, wie sie konnten, und somit spontane Entscheidungen trafen und Fehler machten.
Andross Guiles Blindheit war Kips einziger großer Vorteil. Er konnte die Karte seines Gegners sehen, sobald sie umgedreht war, während Andross erst über den Tisch langen und sie befühlen musste. Kip legte seine neue Karte immer an dieselbe Stelle, so dass Andross’ Benachteiligung so wenig wie möglich ins Gewicht fiel, aber Kip hatte trotzdem jedes Mal mindestens eine Sekunde mehr Zeit als er. Und Andross musste sich alles, was auf dem Spielfeld lag, sorgfältig einprägen.
Gemäß der normalen Spielweise wechselte man sich einfach gemütlich gegenseitig ab, und es gab keine Uhren, aber davon hielt Andross nichts. Er meinte, dabei lerne man nicht viel. Das Leben, der Tod und das Wandeln seien schnell , sagte er. Der Sand unseres Lebens rieselt uns beständig davon, rinnt immer zu schnell.
»Ein ominöser Name«, ergriff Andross das Wort. Die ersten paar Spielzüge verlangten nie viel Konzentration.
»Was meint Ihr?«, fragte Kip, während er überlegte, ob er, wenn er am Zug war, eher mehr Farben ins Spiel bringen oder seine Brille aufsetzen sollte.
»Brecher.«
Die Brille. Er wollte nicht länger als unbedingt nötig unbewaffnet sein. »Inwiefern ominös?«
»Du hast ihn nicht selbst darauf gebracht, dich so zu nennen? Ich hätte dir zugetraut, dass du heimlich selbst dahintersteckst. Ein geschickter Schachzug, habe ich schon gedacht.«
Ein geschickter Schachzug? Offenbar sprach Kips Schweigen für die Richtigkeit dieser Vermutung.
»Du willst mich glauben
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