Die Blendende Klinge
Hauptteil der Armee weiter nach Süden geführt, in Richtung Gebirge. Er hatte den Fluss und die Hauptstraße überquert und war dann flussaufwärts weitermarschiert, statt flussabwärts nach Idoss.
Schließlich erreichten sie die großen Silberminen von Laurion. Liv hatte noch nie etwas Derartiges gesehen. Über etwa eine Meile hinweg waren die Hügel in jede Richtung mit Löchern übersät. Wie der Prinz sagte, waren es dreihundertfünfzig Minen, in denen dreißigtausend Sklaven arbeiteten. Die Minen waren im Besitz der Satrapie Atash, aber Edelleute aus den gesamten Sieben Satrapien konnten sie pachten. Dafür mussten sie neben der Pacht auch einen Anteil ihres Gewinns an den Staat zahlen. Liv hatte bereits davon gehört, dass Sklaven in die Minen geschickt wurden, aber sie hatte nie eine klare Vorstellung davon gehabt, was es bedeutete – außer dass es etwas Schlimmes war, mit dem Sklavenhalter rebellischen oder faulen Sklaven drohen konnten. Einige der atashischen Schüler hatten erwähnt, dass ihre Familien in den Monaten nach der Ernte ihre Sklaven an reiche Sklavenhalter vermieteten, die sie in die Minen bringen und dort arbeiten ließen, um sie dann vor der Pflanzzeit wieder zurückzuschicken. Offenbar kamen viele dieser Sklaven nie wieder zurück, und die meisten Familien vermieteten ihre Sklaven nur dann auf diese Weise, wenn sie verzweifelt Geld brauchten.
Das hügelige Minengelände umgab ein breiter Streifen gerodeten Landes mit Wachtürmen. Jeder Sklave, der fliehen wollte, musste dieses offene Gelände überwinden. Und zu jedem der hölzernen Türme gehörte eine Wachmannschaft mit Pferden und einigen speziell zur Sklavenjagd abgerichteten Doggen.
Unterhalb der Minen am Fluss lag die kleine Stadt Thorikos. Hier wurden Lastkähne mit Erz beladen, Lebensmittel aus dem Umland umgeschlagen, die Sklavenhalter schlossen hier ihre Handelsgeschäfte ab, rechtliche Streitfälle wurden entschieden, man konnte Werkzeug kaufen und sich medizinisch behandeln lassen. Doch nun war Thorikos weitgehend verlassen. Wer konnte, war geflohen. Geblieben waren nur ein alter Ratsherr und jene Bürger, die zur Flucht zu alt oder zu krank waren. Liv wunderte sich über die Feigheit ihrer Familien – wer konnte seine Mutter einer anmarschierenden Armee ausliefern? Krieg bringt in vielen das Schlimmste und in wenigen das Beste zum Vorschein.
Es gab keinen Kampf. Als die Oberherren der Minen die Truppen sahen, die ihnen entgegenstanden, wussten sie, dass jede Gegenwehr Selbstmord wäre. Die in Laurion stationierten Soldaten waren Wächter, die die Sklaven bewachten und jene, die flüchteten, wieder einfingen, keine disziplinierten Kämpfer. Es gab nur eine Handvoll Wandler, darunter überhaupt keine kampferprobten Frauen. Diese waren alle nach Idoss abgezogen worden.
Der Ratsherr trat dem Farbprinzen vor den Toren der Stadt entgegen. Der Anblick des Prinzen schien ihn sehr zu verängstigen. Liv hatte vergessen, wie überwältigend er bei der ersten Begegnung wirkte. Aber der alte Mann ergab sich in Würde und bat um Gnade.
Der Farbprinz gewährte sie ihm. Er versprach, dass niemand getötet oder sonst wie behelligt würde und dass außer kriegswichtigem Gerät und Nahrungsmitteln nichts mitgenommen würde.
Und er hielt sein Wort, auch wenn hier und da Unmut laut wurde. Wenn die Armee Mangel gelitten hätte, so begriff Liv, wäre es wohl schwieriger gewesen. Da sie noch immer reichlich mit Proviant versehen waren, fiel es nicht schwer, das Plünderungsverbot durchzusetzen.
Der Prinz übernahm die Minen wohlüberlegt. Er schickte Soldaten in die Hügel, um alle hölzernen Wachtürme zu besetzen, damit die Sklaven im allgemeinen Chaos nicht entfliehen konnten. Wenn er wirklich beabsichtigte, die Sklaven zu befreien, wie er es angekündigt hatte, wollte er es jedenfalls auf seine eigene Weise und zu einem ihm genehmen Zeitpunkt tun.
Und so geschah es auch. Koios Weißeiche liebte den großen Auftritt. Als die Abendsonne den Himmel feurig erglühen ließ, sprach er zu den dreißigtausend versammelten Sklaven. Sie würden alle unverzüglich freigelassen, sobald sie sich seine wenigen Worte angehört hätten. Er würde sie noch heute Abend einkleiden und ihnen zu essen geben. Sie waren frei zu gehen, wohin immer sie wollten, solange sie nicht seine Leute bestahlen und sich nicht der Chromeria zum Kampf gegen ihn anschlossen. Oder, so verkündete er, sie könnten mit ihm marschieren. Sie würden im gleichen Maße wie seine
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