Die Blendende Klinge
fühle mich erstaunlich normal. So, wie ich mich immer fühle.
Vielleicht ist genau das ein Anzeichen dafür, dass ich verrückt bin – ich kann meine eigene Verrücktheit nicht wahrnehmen. Aber das ergibt keinen Sinn. Jeder auf der Welt könnte verrückt sein, wenn das Sich-selbst-nicht-für-verrückt-Halten ein gültiges Kriterium für Verrücktheit wäre.
Vielleicht verführt mich das Blau. Ja. Vielleicht verführt es mich.
Aber dann sind es die Verführungskünste eines Logikers, nicht die eines Lüstlings. Wenn das Blau eine Art selbständiger Geist ist, der mir süße Sünden ins Ohr säuselt, dann müsste ich auch seine Stimme hören. Stattdessen habe ich nur den vagen Vorbehalt, dass das, was mir beigebracht wurde, nicht ganz zu dem passt, was ich nun erlebe.
Mir kommt ein Gedanke, der mir in der Vergangenheit immer widerwärtig erschienen ist: mich selbst mit blauem Luxin neu zu erschaffen.
Klingt immer noch widerwärtig.
Aber wie sähe ich aus, wenn ich nicht so weit ginge? Ich könnte mir etwa dauerhafte blaue Augendeckel machen, die dann wie blaue Brillengläser funktionieren würden.
Das klingt kompliziert. Wenn man die Augen von der Luft abschließt, dann leiden sie bald darunter, das ist bewiesen, aber wenn man Luftlöcher ließe …
Ich verwickele mich in Probleme. So wie immer. Also … diesbezüglich keine Änderung. Überhaupt keine Änderung.
Vielleicht ist es das Wandeln, das dich verändert. Vielleicht geht es mit dir durch, sobald du wieder damit anfängst, nachdem dein Halo durchbrochen ist. Aber ich habe soeben Blau gewandelt. Klar, natürlich nur kleine Mengen. Aber es kommt mir jetzt nicht so vor, als würde ich nun total durchdrehen.
Ich kann mich umbringen. Ich weiß das jetzt. Das Tor ist offen, und ich kann hindurchschreiten, wenn es an der Zeit ist.
Aber Selbstmord ohne ein echtes Ziel? Das ergibt keinen Sinn. Wie könnte das Orholam zur Ehre gereichen, der Licht und Leben spendet?
Wenn ich warte, ergibt sich vielleicht eine Möglichkeit, den Farbprinzen selbst zu töten. Ich hätte vielleicht eine Chance, diesem Mann den Mord an Usef gebührend heimzuzahlen. Ja, das ist es. Das ist vernünftig.
Der fest zusammengezogene Knoten in meiner Brust lockert sich. Ich löse den Nagel auf und wandle einen winzig kleinen Strohhalm, den ich durch das Loch im Zelt stecke. Wenn das Zelt nach blauem Luxin riecht, werden sie mich durchsuchen und das Loch und den Ring finden. Ich muss auch noch den leisesten Kalkgeruch nach Luxin verdecken. Ich sauge den blauen Staub in meinen Mund und blase ihn hinaus in die Nachtluft. Dann schlucke ich die sandartigen Körnchen, die übrig bleiben, und lasse mir den mit Wasser versetzten Wein, den sie mir gegeben haben, durch den Mund rollen, damit nichts zwischen meinen Zähnen hängen bleibt.
Ich werde leben. Ich werde einen weiteren Tag lang kämpfen. Und ich werde die Mysterien des Halos enthüllen. Ich lege mich auf mein Lager, im Frieden mit mir selbst, und sinke in tiefen Schlaf.
Als seine Finger sich langsam von den fünf Punkten lösten, begriff er, dass sie nicht um Usef weinte. Es seit seinem Tod nie getan hatte. Es war ihr überhaupt nie in den Sinn gekommen.
64
Kip war bis auf die Haut durchnässt. Die Kälte war wie eine einfallende Armee, die die Grenzen seiner Haut überschritt, in das Reich seines Körpers vordrang und es verwüstete. Vielleicht hatte sie zuerst sein Gehirn besetzt, ihn langsam und dumm gemacht. Seine Fäuste, vom Schmerz befeuert, waren die einzigen warmen Punkte seines Körpers. Er hatte die Narben an seiner linken Hand wieder aufgerissen. Erinnerte sich nicht, wie.
Er spürte, wie der Regen etwas auf seine Wange herunterspülte, und wischte es weg. Dann blickte er auf seine Hand. Was zum …
Ein Frostschauer, viel kälter als der eisige Regen, lief ihm den Rücken hinab. Gütiger Orholam. Es war ein Teil von Niahs Gehirn, grau-bläulich, vom Regen saubergewaschen. Es hatte an Kips Gesicht geklebt, seit ihr Kopf zerborsten war. Kip krümmte sich zusammen, schleuderte es weg.
Er musste schnell fort von hier. Zuerst wickelte er sich in die Umhänge ein. Ohne die Magie, die sie zuvor erfüllt hatte, schienen sie lediglich sehr ausgebleichte, abgetragene Kleidungsstücke zu sein. Nichts Besonderes. Die goldenen Halsbänder hingen jetzt innen herunter, als würden sie regelmäßig auf diese Weise der Sicht entzogen. Kip schob die Kapuze hoch. Der Umhang der Frau war zu klein, um ihm richtig zu passen, aber er
Weitere Kostenlose Bücher