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Die Blendende Klinge

Die Blendende Klinge

Titel: Die Blendende Klinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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halte den Leim feucht. Die rote Hälfte des Rings ist für mich unnütz, doch wenn ich unterbrochen werde, muss ich sie so schnell wie möglich wieder auf den Ring kleben.
    Der untere Teil des Rings ist saphirblau. Er ist winzig, aber wäre er größer, so hätten es meine Gefängniswärter bemerkt. Ich ziehe den Zeltstoff langsam und behutsam nach links vom Gestänge herunter. Zwei Stunden vor Mittag steht die Sonne hoch genug, dass in einem kleinen Fleck reines Licht hereinfällt, ein dünner Strahl, wie ein leuchtender Nadelstich der Macht. Die Tatsache, dass meine Hände an meinen Hals gekettet sind, entpuppt sich als ein weiterer Segen, ein Geschenk Orholams aus der Ferne. Es erlaubt mir, meine Hände ruhen zu lassen und sie trotzdem an der richtigen Stelle zu haben.
    Ich bade meinen Ring in dem winzigen Strahl, und er verleiht mir einen schwachen Schimmer blauer Macht.
    Es braucht Stunden; Stunden, in denen ich kaum zu blinzeln wage, in denen ich mich jede Minute ein winzig kleines Stückchen bewege, während Orholams Auge zum höchsten Punkt des Himmels steigt und dann seinen langsamen Abstieg beginnt.
    Als der Abend naht und damit auch das sichere Eintreffen des Aufsehers, der nach mir schaut, schiebe ich das abgeschlagene Stück roten Glases mit Zunge und Lippen vor und befestige es nach und nach wieder am Ring. Dann verberge ich vorsichtig das blaue Luxin unter meiner Haut, verstaue es so, dass ich es nur dort unter der Haut habe, wo es von meiner Kleidung bedeckt ist. Trotz der langen Stunden habe ich nicht viel davon aufsaugen können, doch falls mein Aufseher etwas davon bemerkt, werden all meine Bemühungen umsonst gewesen sein. Daher lasse ich das Luxin in meinen Rücken gleiten, meinen Hintern, meine Hüften. Sie haben meine Privatsphäre bisher respektiert, und wenn sie es noch einen weiteren Abend lang tun …
    Der Aufseher kommt. Er schnüffelt ein- oder zweimal, aber er scheint zu denken, dass er wohl gegen irgendetwas in »diesem verdammten Land« überempfindlich ist. Er lässt mir meine Tagesration Verpflegung da. Nachdem ich gegessen habe, kommt er wieder und nimmt den Teller mit.
    Kurz vor der Ausgangssperre wird er noch einmal kommen. Das gibt mir zwei Stunden. Zwei Stunden sind reichlich Zeit, um zu sterben.
    Mit zitternden Fingern habe ich ein winziges, scharfes Messer aus blauem Luxin gewandelt. Eigentlich mehr eine Art Nagel. Ich will nichts so Dramatisches tun, wie mir die Handgelenke aufzuschlitzen. Aufgeschnittene Handgelenke können verbunden, mein Leben könnte gerettet werden. Einen Nagel ins Herz stoßen: Das ist unwiderruflich, endgültig und geht recht schnell. Selbst wenn mein Fleisch mir den Gehorsam verweigert und ich schreie, wird es keine Rettung für mich geben.
    Ich hätte in Garriston sterben sollen. Ich hätte zusammen mit Usef sterben sollen. Ich habe Usef nie gesagt, dass Gavin in Wirklichkeit Dazen ist. Ich wusste nicht, wie er reagieren würde. Jetzt bedaure ich es. Er hätte wissen sollen, für wen er stirbt.
    Aber nein. Er starb für mich. Er machte sich nichts aus diesem Krieg. Er machte sich nichts aus Orholam. Ob Götter oder nicht, Chromeria oder keine Chromeria, für ihn war es wichtig, das Richtige zu tun. Und er mochte mich. Ich hätte es ihm sagen sollen. Ich hätte ihm vertrauen sollen. Ich habe ihn hintergangen.
    Es tut mir leid, Usef. Ich komme zu dir und werde mich persönlich bei dir entschuldigen. Persönlich? Oder doch nur im Geiste?
    Usef hat an all das nicht geglaubt. Ich hoffe, das Leben nach dem Tod war eine angenehme Überraschung für meinen großen Bären.
    Ich halte mir die Spitze des Nagels über die Brust. Gavin Guile – also, das heißt Dazen Guile – hat jenen, die ihren Halo durchbrochen haben, eine Sondergenehmigung zur Selbsttötung erteilt; mir aber wurde mein ganzes Leben hindurch eingebläut, dass Selbstmord genauso ein Mord ist wie jeder andere Mord auch, und es fällt mir schwer, dieses Bewusstsein abzuschütteln. Nein, dies ist kein Mord. Ich bin nur ein weiteres Opfer des Krieges.
    »Herr des Lichts, wenn dies eine Sünde ist, dann vergib mir. Wenn es ein Frevel ist, vergib deiner irrenden Tochter.« Ich hole tief Luft, nehme all meine Kraft zusammen.
    Aber noch immer ramme ich mir den Nagel nicht ins Fleisch.
    Ich bin ein Farbwicht. Ich weiß es. Ich habe gefühlt, wie der Halo zerbrochen ist. Ich bin verloren. Ich werde verrückt werden. Vielleicht bin ich schon verrückt.
    Doch ich fühle mich nicht verrückt. Ich

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