Die Blendende Klinge
erniedrigen, besonders große Frauen, denen gegenüber sie sich minderwertig gefühlt haben. Mir gegenüber fühlen sich Männer ständig minderwertig.
Was also geht hier vor?
Ich bin eine eindrucksvolle blaue Kriegerin, vielleicht sogar eine Legende. Und ich habe meinen Halo durchbrochen.
Und so sieht es aus: Dieser Farbprinz, wer immer er ist, will, dass ich mich auf seine Seite schlage. Er glaubt, je länger er mich in meinem Blau schmoren lässt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich durchdrehe und zu ihm überlaufe.
Es ist lange her, dass ich das letzte Mal unterschätzt wurde. Ich mag es jetzt genauso wenig, wie ich es als junge Frau gemocht habe.
Mein Zelt ist nicht groß; ich kann mich aber aufrecht hinstellen, ohne mit dem Kopf an die Zeltdecke zu stoßen. Meine Hände sind vor meinem Körper in Ketten gelegt, und die Ketten sind durch einen eisernen Ring mit meinem Hals verbunden. Meine Beine sind an den Knöcheln gefesselt und werden durch eine Eisenstange auseinandergehalten.
Alles in allem kann ich mich dadurch ein wenig bewegen, habe aber kaum Möglichkeiten, jemanden anzugreifen. Tatsache ist, ich bin keine Schwarzgardistin: Selbst wenn ich frei wäre, wüsste ich nicht, wie ich jemanden mit bloßen Händen angreifen sollte. Gut, ich kenne ein paar Schläge, aber das ist etwas ganz anderes, als wirklich gefährlich zu sein. In Wahrheit bin ich ohne zu wandeln einfach nur eine hilflose Frau von vielen.
Aber ich bin noch nicht bereit, das Wandeln aufzugeben.
Meinen Ring haben sie mir nicht abgenommen – was ohne Zweifel bedeutet, dass der Farbprinz mich tatsächlich rekrutieren will. Sie haben einen langen, strengen Blick auf den Rubin an meinem Finger geworden, dann einen weiteren auf den gebrochenen Halo aus reinem Blau in meinen Augen und haben mich den Ring behalten lassen.
Ich habe zwei Tage gebraucht, bis mein Plan stand. Das Zelt ist rot, so dass ich nicht – wie es bei Dunkelheit der Fall wäre – in Panik ausbreche, aber zum Wandeln ist das Licht für mich nutzlos. Doch ist das Zelt auch aus Tuch gemacht. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle, kann ich ein Stück des Zeltdachs, das normalerweise vom Gestänge darunter verdeckt ist, hervorziehen und darauf herumkauen. Ich habe zwei Tage gebraucht, ein Loch hineinzubeißen, das groß genug ist, um einen schmalen Strahl klaren, weißen Lichts hereinzulassen – aber nicht so groß, dass es denjenigen, die das Zelt jeden Morgen abbauen und zusammenpacken, auffallen würde.
Am nächsten Tag wäre ich beinahe in Panik geraten, als ich feststellte, dass das Loch nicht mehr da war. Aber keine Bestrafung, keine Erwähnung des Lochs. Es müssen außer mir noch andere Blauwandler hier gefangen sein; unsere Zelte waren vermutlich während des Marschierens einfach vertauscht worden.
Ich beginne erneut, ein Loch in das Zelttuch zu nagen. Diesmal habe ich mehr Glück: Ich behalte mein Zelt. Am zwölften Tag legte die Armee eine Marschpause ein. Sie errichtete ihr Lager, um irgendein Fest zu feiern, dessen Lärm ich von fern hören kann. Wie auch immer: Ich bin bereit, und das Zelt ist in Nord-Süd-Richtung aufgestellt, für das von mir gekaute Loch die vorteilhafteste Ausrichtung. Ich kann hinausspähen.
Über den Zelten ist ein großer weißer Baldachin aufgespannt. Ich hatte gedacht, da seien lediglich Wolken über mir, die das Blau des Himmels zerstreuten. Wolken, die sich unter Orholams Blick auflösen und mir das gesegnete Blau des klaren Himmels wiedergeben könnten. Stattdessen ist es weißes Segeltuch, das zwar Licht durchlässt, aber nicht meine Farbe. Wenn ich eine Brille gehabt hätte, wäre es nicht schlimm gewesen. Aber ich habe keine. Ich bin kein Prisma; Weiß ist für mich genauso nutzlos wie gar kein Licht. Dieser Farbprinz ist demnach nicht dumm. Er muss wissen, dass die Zelte ihre Schwachstellen haben. Ich hasse und bewundere ihn gleichzeitig dafür. Aber es bringt mich nicht von meinem Plan ab.
Im Stillen danke ich Usef dafür, dass er mir den Ring gegeben hat, nehme alle Kräfte zusammen und beginne, den »Rubin« gegen die Kette zu schlagen, die meine Hände fesselt. Nach einem Dutzend Versuchen treffe ich die richtige Stelle, und die obere Hälfte des Edelsteins bricht ab, löst sich von der unteren Hälfte, auf die sie geklebt war. Die nächsten zwanzig Minuten bringe ich damit zu, das Zelt nach dem herausgebrochenen Stück zu durchsuchen.
Als ich es gefunden habe, stecke ich es in den Mund und
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