Die Blendende Klinge
ich diesen Hintergrund hätte, wüsste ich doch nur die falschen Dinge. Wenn Ihr es mir jetzt nicht erklärt, müsst Ihr mir später all die falschen Dinge, die ich zu wissen glaube, erst wieder austreiben.«
Mit einem Neigen des Kopfes und einem kurzen Lächeln gab Eisenfaust ihm recht. Er holte noch einmal Luft, dann begann er: »Licht ist Kraft. Kraft verbraucht sich nur, wenn sie etwas bewirkt. Nehmen wir an, das Sonnenlicht strahlt auf einen Boden aus Kirschholz. Wir wissen, dass Sonnenlicht das gesamte Spektrum umfasst: von Infrarot bis Ultraviolett. Aber der Boden reflektiert nur ein rötliches Braun – wo bleibt das übrige Licht? Es wird absorbiert. Verbraucht. Aber was bewirkt es? Und wenn wir Jahre später die stets sonnenbeschienenen Bodendielen mit denen vergleichen, die von einem Teppich bedeckt waren oder im Schatten lagen, dann stellen wir fest, dass sie ausgebleicht sind. Das Licht hat sehr langsam die Beschaffenheit des Holzes selbst verändert – es in gewisser Weise aufgespalten. So wie das Licht auch die Haut eines Mannes dunkler werden lässt oder das Haar einer Frau heller. Wie eine Farbe den Körper eines Wandlers verändert. Bei einem Prisma bricht der Halo nicht, auch wenn es riesige Mengen Licht wandelt, weil ein Prisma alles Licht, das es trifft, wieder abgeben kann. Wir Übrigen sind weniger effizient und dadurch für Schäden anfälliger … Wenn es so funktioniert, wie es die mir bekannten Spekulationen beschreiben, fungiert ein Lichtspalter als eine Art Keil im Strom des Lichtes, der das Licht von der Mitte des Spektrums zu beiden Seiten nach außen drängt, weit in den für Normalsichtige nicht sichtbaren Bereich des Infraroten und Ultravioletten und darüber hinaus. So dass das gesamte sichtbare Licht, das auf ihn trifft, in den Bereich über- und unterhalb des sichtbaren Spektrums verschoben wird. Wenn es ihm perfekt gelingt, leuchtet er im ultravioletten und im infraroten Bereich so hell wie eine Fackel. Ich habe gehört, dass Lichtspalter verbrennen können, wenn es zu viel Licht zu spalten gibt, etwa an einem sonnigen Tag. Diese Umhänge erleichtern ihnen ihre Tätigkeit. Wie es Brillengläser einem Wandler erleichtern, in seiner Farbe zu wandeln.«
Kip hatte in den vergangenen Monaten so viele Wunder erlebt, dass er keinerlei Mühe hatte, ihm zu glauben. »Ihr sagt mir also, dass mitten unter uns vielleicht ganze Horden von unsichtbaren Menschen herumlaufen?«
»Keine Horden. Das Licht gut genug zu spalten, um unsichtbar zu werden, ist vermutlich nahezu unmöglich. Und, wenn die Legende stimmt – ein großes Wenn –, dann gibt es ja nur zwölf dieser Umhänge, die für den ursprünglichen Orden des Gebrochenen Auges, oder vielleicht sogar schon zuvor, geschaffen worden sind. Einige sind sicherlich verloren gegangen oder zerstört worden, und wir besitzen nun zwei davon. Also gibt es da draußen allerhöchstens noch fünf weitere Paare von Meuchelmördern. Vielleicht auch nur zwei oder drei. Vielleicht auch gar keine mehr.«
»Zumindest haben wir jetzt diese Umhänge.«
»Was besser ist, als wenn unsere Feinde sie hätten, auch wenn sie für uns vermutlich nutzlos sind. Nachdem sie deren Existenz stets geleugnet hat, glaube ich nicht, dass die Chromeria über irgendeine Methode verfügt, die Lichtspalter unter den Wandlern herauszufinden. Und selbst wenn jemand etwas dergleichen wüsste – können wir ihn überzeugen, mit seinem Wissen herauszurücken, wenn schon der bloße Gedanke an Ketzerei grenzt? Die atashischen Luxoren haben ein beängstigend ähnliches Wissen vor hundertzehn oder hundertzwanzig Jahren unterdrückt.«
»Und das ist nur eine der Karten«, sagte Kip.
»Und du hast ein ganzes Deck. Brecher. Du machst deinem Namen alle Ehre.« Hauptmann Eisenfaust begann leise zu lachen.
»Was ist denn so lustig?«, fragte Kip.
»Ich habe gerade darüber nachgedacht, dass angesichts der Wichtigkeit dieser Karten und der Frage, wer ihren Inhalt wohl am deutlichsten zu sehen vermag, du wahrscheinlich gerade ein paar von denjenigen meiner Leute, mit denen ich am wenigsten anfangen kann, dazu verdammt hast, den Rest ihrer Tage irgendwo in einer Bibliothek zu hocken, Karten zu berühren und sich Notizen zu machen.«
»Ist Euch eigentlich klar«, sagte Kip verdrießlich, »dass das, worüber Ihr Euch gerade lustig macht, sehr gut meine Zukunft sein könnte?«
»Wohl kaum«, sagte eine Stimme hinter Kip. »Ich könnte mir vorstellen, dass du entweder im Laufe des
Weitere Kostenlose Bücher