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Die Blendende Klinge

Die Blendende Klinge

Titel: Die Blendende Klinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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drängten sich in nächster Nähe zusammen und wollten, ungeachtet der Gefahr, das Spektakel aus nächster Nähe verfolgen.
    Auf Wunsch des Prinzen hatte sich Liv ihnen angeschlossen. »Ich will Euch nicht vor den Realitäten des Krieges abschirmen, Aliviana. Das ist der Weg, den wir gewählt haben, und Ihr müsst es wissen. Ich vertraue Euch bittere Wahrheiten an.« Sie verstand die Anspielung: anders als ihr Vater. Anders als die Chromeria.
    Sie würde sich diesen Vertrauens als würdig erweisen. Also verfolgte sie das Geschehen aus nächster Nähe. Niemand versuchte, sie zur Seite zu drängen. Dafür sorgte ihre Kleidung, die sie als Violett- und Gelbwandlerin kenntlich machte. Wandler wurden wie hohe Herren und Damen behandelt. Sie hatten Macht, und Macht war eine Tugend.
    »Ihr sagtet, Ihr hättet etwas für mich, mein Prinz?«, fragte Liv.
    »Es ist ein Brief für Euch eingetroffen«, antwortete er. »Und bevor Ihr fragt – ich habe ihn natürlich gelesen.«
    Er machte ein Winkzeichen, und einer seiner Begleiter brachte den Brief. Liv kannte die Handschrift. Sie spürte, wie ihr eine Gänsehaut über die Arme und den Nacken hinauflief. Der Brief kam von ihrem Vater.
    Der Farbprinz sagte: »Es ist Zeit, dass Ihr entscheidet, wer Ihr seid und wer Ihr sein wollt, Aliviana Danavis.«
    Der Blidenmeister und seine Mannschaft begannen, das große Gegengewicht emporzuhebeln, indem sie lange Stöcke in ein hölzernes Zahnrad steckten, um es so nach unten zu drücken. Das Gegengewicht stieg langsam in die Höhe, lieferte sich einen Wettlauf mit der Sonne, die sich nun ihrem Zenit näherte.
    Liv öffnete das gebrochene Siegel: »Geliebte Aliviana, mein Augenlicht …« Ein Schwall Tränen schoss ihr in die Augen, als sie die Handschrift ihres Vaters sah. Als Kip ihr damals erzählt hatte, Corvan sei tot, war für Liv die Welt untergegangen. Sie atmete tief aus und blinzelte die Tränen weg.
    Die Menge wirkte zugleich freudig erregt und nervös. Die Kanonen konnten jeden Augenblick das Feuer eröffnen und Tod über sie bringen. Oder die Stadttore konnten sich öffnen und Angriff oder Kapitulation bringen, oder es konnte auch überhaupt nichts passieren. Die Männer lachten etwas zu laut. Manche schlossen Wetten ab. Liv konnte die Frauen, die aufgestellt waren, um über die Stadtmauer katapultiert zu werden, leise weinen hören. Leise weinten sie nur, weil sie ihre Kinder nicht beunruhigen wollten, die immer noch nicht wussten, was hier vor sich ging.
    Sie las weiter: »Liebe Tochter, bitte komm heim. Ich weiß, dass Du denkst, ich hätte meine Eide gebrochen. Das ist nicht der Fall. Ich kann Dir in einem Brief, der abgefangen werde könnte, nicht mehr mitteilen, aber ich werde Dir alles sagen, wenn Du nach Hause kommst.« Es stimmte, was er schrieb, aber es machte sie auch wütend. Sie war bei ihm gewesen. Sie hatte ihn gefragt – und er hatte ihr nicht anvertrauen wollen, was er vorhatte. Und nun wollte er es?
    Nun, da sie nicht mehr unter seiner Aufsicht stand.
    Holz ächzte, Seile spannten sich, das gewaltige Gegengewicht der Blide erreichte seinen höchsten Punkt, noch bevor die Sonne den ihren erreicht hatte. Die Blidenmannschaft war mit ihrer Arbeit jedoch noch nicht fertig. Männer rannten hin und her, überprüften, wie ihr Kriegsgerät der Belastung standhielt, bereiteten den Katapultkorb für die Frauen vor und wiesen die vor und hinter der Blide gedrängten Menschen an zurückzutreten.
    Schließlich begab sich der Blidenmeister zum Farbprinzen. »Wir sind so weit, Herr. Sollen wir sie mit Ladung bestücken?«
    Ladung. Eine seltsam unpersönliche Sprache, oder? Der Prinz nickte.
    Eine ältere Frau wurde nach vorn geführt. Sie hatte Tränen auf den Wangen, aber nun weinte sie nicht mehr. Ihre Kleidung war früher kostbar gewesen, wie Liv bemerkte, und sie hatte die helle Haut einer Frau, die nie in ihrem Leben im Freien gearbeitet hatte. Welliges, silbriges Haar, braune Augen. Unter all den Menschen, die sie anstarrten, fiel ihr Liv ins Auge, und ihre Blicke trafen sich.
    »Ihr meint das doch nicht ernst, oder?«, fragte die alte Frau. »Oder irre ich mich?«
    Liv wandte den Blick ab. Vertrau mir, hatte ihr Vater gesagt. War das nicht nur eine andere Art, um zu sagen: Unterwirf dich?
    Die Frau ließ sich in das Netz einschlagen, fügsam, kraftlos. »Haltet den Kopf auf die Seile gelegt«, wies der Blidenmeister sie an. »Entspannt Euch.«
    Entspannt Euch, schließlich wollen wir unsere Hurenmarken gewinnen,

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