Die Blendende Klinge
ihrem Schwarzgardisten ein Zeichen, sie in Gavins Gehgeschwindigkeit hinterherzurollen.
»Was habt Ihr getan, Gavin?«
Gavin bestieg den Aufzug. »Nach unten«, sagte er und kehrte ihr sein Gesicht zu. Er wollte verhindern, dass sie ihn begleitete. »Ich nehme die Abwärtsrichtung.«
»Ja, das befürchte ich«, sagte sie. Sie bannte ihn mit der Macht ihrer Persönlichkeit, ließ ihre Frage in der Luft hängen, forderte eine Antwort.
»Ich habe gelogen und betrogen und manipuliert, und ich habe gewonnen. Und ich habe alles aus guten Gründen getan. Wenigstens einmal.«
» Alles aus guten Gründen?«, fragte sie.
Er antwortete nicht. Löste die Bremse und verschwand aus ihrem Sichtfeld.
77
»Ich muss dir etwas sagen. Es fällt mir nicht leicht«, sagte Samite.
Karris hatte sich kaum gewaschen und angezogen, als Samite die Quartiere der Bogenschützinnen betrat. Samite war eine von Karris’ besten Freundinnen in der Schwarzen Garde: gedrungen, zäh, schlau und immer unbeholfen, wenn sie sich bemühte, sanft und zart zu sein. Karris wartete, den Kamm in der Hand. »Was ist los?«
Samite ließ sich schwer auf Karris’ Bettkante plumpsen. »K, du weißt ja, dass die Herren und Damen der großen Häuser immerzu versuchen, sich an uns Schwarzgardisten heranzumachen und uns als Spione oder Überläufer zu gewinnen?«
»Ich … was soll das werden?«
»Auch an mich hat sich jemand herangemacht. Vor Jahren.«
»Was?! Sami, hör auf! Was tust du?«
»Was ich schon vor langer Zeit hätte tun sollen.« Samites Gesichtsausdruck war finster, aber entschlossen. Sie saß da, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt, die Hände ineinander verschränkt.
»Wer?« Karris hauchte das Wort nur.
»Lady Felia Guile.«
»Lady Guile hat deine Treue untergraben?«, fragte Karris. Sie hatte Lady Guile gemocht. Sogar sehr. Hatte über Jahre hinweg geglaubt, diese Frau würde einmal ihre Schwiegermutter werden – was einer Mutter näher kam als alles andere, was Karris je kennengelernt hatte. »Wie hat sie das – nein, egal. Ich muss es nicht wissen. Sami, sie ist tot. Du brauchst das nicht zu tun.«
»Es war nichts Ungehöriges. Zwei meiner Brüder waren von ilytanischen Piraten gefangen genommen und zu Galeerensklaven gemacht worden. Mein Familie wusste nicht einmal, wo sie mit der Suche beginnen sollte, und ein Lösegeld hätte sie erst recht nicht aufbringen können. Ich ging zu ihr. Sie schickte Leute aus, die meine Brüder aufstöberten, und kaufte sie selbst los. Sie brachte sie hierher, so dass ich mich davon überzeugen konnte, dass sie wohlauf waren. Sie pflegte sie, bis sie sich wieder ganz erholt hatten, und übernahm die Kosten für ihre Heimreise. Ich hätte ihr all das nie zurückzahlen können, weißt du, ich hatte meinen ganzen Verdienst als Schwarzgardistin dafür aufgebraucht, meiner Familie einen Bauernhof und einen Laden zu kaufen. Ich habe es ihr dennoch angeboten, aber sie hat es abgelehnt. Sie wusste, dass es meine Familie in den Ruin gestürzt hätte. Über Monate hinweg hat sie die ganze Sache nicht mehr erwähnt, und als sie mich dann später um Informationen gebeten hat, hätte ich mich unmöglich verweigern können.«
Eine Leine aus Samt, nur gehalten durch Samites Ehr- und Verpflichtungsgefühl. Ja, das war Lady Guiles Stil. Sie war eine recht freundliche Orangefarbene gewesen. Aber eben eine Orangefarbene.
Samite fuhr fort, ihre Stimme matt und monoton, als schritte sie ihrem eigenen Tod entgegen. »Sie sagte, sie versuche lediglich, ihren Sohn zu schützen, und ich glaubte ihr. Er ist das Prisma, also dachte ich, wir hätten beide das gleiche Ziel. Es war für mich kein richtiger Verrat, verstehst du? Im tiefsten Herzen wusste ich es besser, und deshalb erzähle ich es dir jetzt auch. Aber ich könnte es nicht ertragen, es Hauptmann Eisenfaust zu beichten. Ich könnte die Enttäuschung in seinen Augen nicht ertragen. Wie auch immer, der letzte Auftrag, den sie mir anvertraut hat, war dieser: Sie sagte, nach ihrem Tod solle ich dir diesen Brief geben.«
Samite reichte Karris ein kleines Briefchen, das auf Lady Guiles Briefpapier geschrieben war.
»Ich mache ihr keine Vorwürfe, weißt du«, fuhr Samite fort. »Sie hätte mich zerstören können, aber es ging nicht um mich. Es ging nicht einmal darum, ihre Familie zu schützen. Was sie tat, tat sie für die Sieben Satrapien. Manchmal muss man Opfer bringen, und für gewöhnlich müssen wir kleinen Leute dafür bezahlen, und nicht immer
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