Die Blendende Klinge
bewaffneten Kommandos die Große Pyramide hinauflassen.«
»Wir befinden uns mitten in einem Krieg. Ihr macht wohl Witze?«, fragte Paz Cavair.
»Ich bin nur ungern kleinlich, aber ich habe nun mal meine Befehle und so weiter«, sagte der Hauptmann. Er war ein junger Mann. Dunkelhaarig, schöne blaue Augen, mit Perlen im Bart. »Ihr wisst ja, wie das ist.«
»Ich weiß«, erwiderte Paz Cavair. »Spring.«
»Was?«, sagte der Hauptmann.
Es war das Codewort. Paz Cavairs Wache und alle von Livs Männern stürzten sich auf die atashischen Soldaten, zogen Messer und durchstachen Kettenhemden, brachen Hälse, metzelten den Hauptmann und seine Leute nieder. Alles war so schnell vorbei und die Körper wurden so schnell beiseitegeschafft, dass jeder Aufschrei des Entsetzens ausblieb.
Nach vollbrachter Tat drehte Paz Cavair das Innere seines Umhangs nach außen. Er zeigte nun das Adlersiegel von Ru, und er bezog Position, als sei er selbst ein Soldat. Auch Liv und alle ihre Männer stülpten ihre Umhänge um. Paz Cavairs Leibwächter zogen den toten Wächtern die Umhänge aus, und sie legten mehrere übereinander und versteckten sie, so gut es ging. »Ihr braucht fünf Minuten bis zur Spitze, wenn Ihr rennt. Ihr müsst vor der Wachablösung oben sein.«
»Es sollten eigentlich schon die neuen Wachen sein«, bemerkte Liv.
»Ihre Ablösung hat sich verspätet. Daran lässt sich nichts mehr ändern. Jetzt los!«
Und so rannten sie die Stufen hinauf. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Männer von Lord Aravind sie bemerken würden. Wenn sie Glück hatten, würden sie dank ihrer Umhänge ohne Störungen hinaufgelangen – die meisten Soldaten der Stadt trugen auch nicht mehr Rangabzeichen als sie, aber eigentlich war es nur Elitesoldaten erlaubt, sich Lord Aravind in größerer Zahl zu nähern. Doch es war Krieg, und im Krieg werden viele Vorschriften außer Kraft gesetzt.
Liv rannte.
Von Süden her kam Kanonendonner, und sie konnte sehen, wie ein Teil der Armee des Farbprinzen einen Angriff in Richtung Stadttore startete. Er war im Wesentlichen als Ablenkung gedacht – als Ablenkung von Liv.
»Liv«, hatte ihr der Farbprinz gestern Abend anvertraut. »Ich habe Euch auf die Probe gestellt. Um zu sehen, ob ich Euch eine Aufgabe anvertrauen kann.«
»Ich weiß. Ich würde sagen, dass Ihr mir natürlich vertrauen könnt, aber das würde ich vermutlich auch sagen, wenn es nicht so wäre.«
Er hatte gegrinst. Mit all seinen Brandnarben sah es etwas gruselig aus, aber inzwischen nahm sie sie kaum mehr wahr. »Dieses Mal stelle ich nicht Eure Treue auf die Probe.« Die Sonne ging schon früh unter, ließ das Rote Kliff erstrahlen und die Schatten der Bliden endlos lange erscheinen. »Sondern Eure Tüchtigkeit. Ich bin leider gezwungen, Euch dieser Prüfung zu unterziehen, da ich so wenige Ultraviolettwandler unter meinen Leuten habe, und hierfür brauche ich einen besonders guten. Den besten. Ich hätte Euch lieber in Sicherheit, aber stattdessen muss ich Euch gefährden, damit wir siegen. Wenn Ihr Erfolg habt, werde ich Euch besser belohnen, als Ihr es Euch vorstellen könnt.«
»Was soll ich tun?«, hatte Liv gefragt.
Und hier rannte sie nun, schwitzte, keuchte, rang nach Luft und fühlte sich, als müsse sie sich übergeben. Sie blieb einen Moment stehen und sah aufs Meer hinaus. Sie verspürte ein seltsames Gefühl und glaubte, ein Geräusch gehört zu haben.
Eine riesige grüne Insel war aus den Tiefen der See emporgestiegen und trieb nun mitten in der Meerenge. Winzige Punkte – Schiffe – zerbarsten und kenterten. Riesige Wellen stürzten von den Rändern der Insel herab. Ein gigantischer Turm erhob sich aus ihrem Zentrum. Liv wurde von einer eigenartigen Hochstimmung erfasst. Sie fühlte sich plötzlich wild und stark. Der grüne Gottesbann.
Richtung Süden konnte sie Schlachtlärm hören. Kanonen und Musketen feuerten von der Mauer, erschütterten die Stadt. Die Soldaten auf der Spitze der Pyramide hatten bisher weder den Gottesbann noch Livs Trupp gesehen; ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Kampf, der sich draußen an der Stadtmauer entspann.
Aber auch wenn Liv sich wild und stark fühlte, war der Weg treppauf doch sehr erschöpfend. Sie wurde immer langsamer, und schließlich ergriffen die Männer zu ihren beiden Seiten jeweils einen ihrer Arme und halfen ihr den restlichen Weg hinauf. Sie machten Liv ihre nachlassenden Kräfte nicht zum Vorwurf. Sie waren Kämpfer und für derlei ausgebildet. Sie
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