Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blendende Klinge

Die Blendende Klinge

Titel: Die Blendende Klinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
Vom Netzwerk:
Strahl mitten am Tag sehen kann. Vielleicht ist das Licht bei Nebel sichtbar, im Rauch oder im Dunkel der Nacht, aber niemals eine Stunde nach Sonnenaufgang.
    Und doch war genau das der Fall.
    Doch als der Spiegel nun summte, schien Livs Sicht sich plötzlich selbst jener großen Linse zu bedienen – und auf einmal konnte sie sehen, wie sich der Turm zitternd aus dem Meer erhob und direkt vor ihr immer weiter wuchs, als sei er nur hundert Schritt von ihr entfernt und nicht viele tausend.
    Als sie das sah, wusste sie, dass Koios Weißeiche sich geirrt hatte. Sie hatte ihre Tüchtigkeitsprüfung ganz ohne Mühe bestanden. Dies hier war ein Test ihrer Treue. Denn nun sah sie Kip, Karris und Gavin Guile persönlich auf dem Gottesbann, und sie wusste, dass sie sie alle dem Verderben anheimgeben würde, wenn sie dem Farbprinzen jetzt gehorchte.
    Wenn sie die Macht haben wollte, die Welt zu verändern, wenn sie in Zukunft Zehntausende von naiven jungen Frauen vor Haien und Meeresdämonen erretten wollte, dann musste sie ihre Freunde dem Tod übereignen. Sie hatte den Farbprinzen schon zuvor gebeten, Kip und Karris zu verschonen – hatte ihnen in Garriston ihr Leben bewahrt, was zahlreichen Blutröcken das ihre gekostet hatte. Sie nunabermals zu retten – war es wert, dafür den Traum von einer neuen, verwandelten, reinen Welt zu opfern?
    »Wisst Ihr, was Atirat benötigt, Aliviana?«, hatte der Farbprinz sie vergangene Nacht gefragt.
    »Opfer?«, hatte sie aufs Geratewohl geantwortet.
    »Licht. Jeder Gott wird im Licht geboren.«
    Und weinend brachte sie Licht.

110
    Die erste große Welle traf den Gleiter von hinten.
    Gavin schrie etwas, aber es ging im Brüllen der Wogen unter, die mit zerstörerischer Gewalt heranjagten. Seine Körpersprache jedoch war unmissverständlich. Er warf sich an die Röhren und schleuderte mit aller Kraft Luxin hinab. Die Schwarzgardisten folgten seinem Beispiel, und der Gleiter machte einen Sprung nach vorn.
    Doch sie waren nicht so schnell wie die große Welle, die Kip von den Füßen riss. Er klammerte sich mit beiden Händen am Gleiter fest, und als er herumgewirbelt wurde, sah er hinter ihnen den Turm aus dem Meer steigen. Er war bereits über hundert Meter hoch. Er war die Ursache sowohl der großen Welle als auch des von oben auf sie herabstürzenden Wassers.
    Dann wurde Kip auf das Deck geschmettert. Er hörte das Geräusch brechenden Luxins und sah Gavin vorne vom Gleiter herabstürzen. Er hatte sein Luxin so heftig durch die Röhren gepumpt, dass diese abgerissen waren. Plötzlich flogen sie alle durch die Luft. Kip verlor den Halt – vielleicht löste sich auch auf, woran er sich festgeklammert hatte. Er sah nur noch Wasser. Was auch immer die See in die Höhe geschleudert hatte, war zur Ruhe gekommen, und nun stürzte die See im Chaos eines gewaltigen Wasserfalls wieder zurück. Kip fiel und fiel und rang verzweifelt nach Luft. Als er auf dem Wasser aufschlug, landete er in einer Strömung, die ihn zur Seite riss. Kip knallte gegen etwas, schrammte über etwas anderes. Es hatte keinen Sinn, dagegen anzukämpfen; er wurde erbarmungslos herumgewirbelt und wusste nicht mehr, wo oben und wo unten war.
    Er spürte etwas Festes, griff danach, verfehlte es, rutschte ab. Die Strömung bildete reißende Flüsse, und Kip wusste, dass er nicht in einen tieferen Strudel gerissen werden durfte. Er tastete erneut nach irgendeinem Halt, bekam etwas zu fassen, das sich wie der Ast eines Baumes anfühlte, und hangelte sich daran auf die schwächere Strömung zu. Seine Lunge brannte, und das Wasser war so schmutzig, dass er außer Grün nichts mehr sehen konnte. Er kämpfte gegen seine Panik, gegen die Wildheit an. Hangeln, Kip. Eine Hand über die andere. Er umklammerte Wurzel um Wurzel und zog sich vorwärts, immer weiter.
    Kurze Zeit später spürte er, dass sich die Temperatur an seinem Rücken veränderte. Luft. Er verkeilte seine Füße zwischen den Wurzeln, hob den Kopf und saugte die Luft ein.
    Die Strömung hätte ihn fast erneut in die Tiefe hinabgerissen, und er taumelte, konnte sich jedoch wieder fangen. Er stand auf einer neuen Insel, und überall strömte das Wasser in reißenden Flüssen ins Meer zurück. Das Land – wenn man es denn als Land bezeichnen konnte – war nicht gleichförmig. An einigen Stellen konnte sich das Wasser keinen Weg zurück suchen und bildete Pfützen und Teiche.
    Grün. In jeder erdenklichen Schattierung, vom Schiefergrün der Flechten bis zum

Weitere Kostenlose Bücher