Die blonde Geisha
letztlich gar keine richtige Strafe gewesen.
“Die Zeit der Gefahr ist schneller über uns gekommen, als wir erwartet haben, Mariko-san”, sagte Simouyé und tupfte sich das Gesicht mit einem Tuch ab.
“Gefahr? Ich verstehe nicht, Okâsan.”
“Ja, mein unschuldiges Kind,
große
Gefahr. Vier Jahre lang ist es mir gelungen, keine Aufmerksamkeit auf mein Teehaus zu ziehen.”
Mariko richtete sich noch gerader auf. Die Worte waren wie Blüten, die ins Wasser geworfen werden und einen Kreis nach dem anderen zogen. “Wieso denn, Okâsan?”
“Ich befürchte, Prinz Kira-sama wird das Geheimnis lüften, das ich innerhalb dieser Wände hüte, und Rache an uns üben.”
“Prinz Kira-sama? Geheimnis? Rache?” Mariko schwieg einen Moment. “Ich verstehe nichts von solchen Dingen.”
Simouyé legte eine Hand an ihre Wange. Die Finger der älteren Frau waren kalt, sehr kalt. Mariko zwang sich, nicht zu zittern als Okâsan sie mit einem fernen Ausdruck in den Augen betrachtete.
“Erinnerst du dich an die Nacht, in der Kathlene-san zu uns kam?”
“Ja, Okâsan, es regnete und stürmte, und sie hatte große Angst um ihren Vater.”
Simouyé seufzte, nahm die Hand von der Wange des Mädchens und legte sie sich an die Brust, als müsse sie ihr Herz wärmen. “Es war nicht ihr Vater, der in Gefahr war, sonder Kathlene-san.”
“Kathlene-san?” wiederholte Mariko.
“Ja, der Prinz will ihren Tod.”
“Aber was hat sie getan, um den Prinzen so zu verärgern? Ihr Herz ist so gut und rein.”
“Das stimmt, aber wenn der Baron Tonda-sama ihre wahre Identität herausfindet und dem Prinzen ihren Aufenthaltsort verrät, dann können wir sie nicht vor seinem Zorn schützen.”
“Wir dürfen nicht zulassen, dass Kathlene-san etwas geschieht”, entgegnete Mariko mit flehender Stimme.
“Deswegen muss ich dir ihr Geheimnis anvertrauen, Mariko-san.”
Mariko saß sehr still und lauschte mit geschlossenen Augen. Regen schlug gegen die Holzjalousien des Teehauses, ein kaltes, hohles Geräusch, das die junge Maiko nur noch mehr verängstigte.
Simouyé erzählte ihr, wie Mallory-san vor Jahren für den Prinzen und seinen Sohn eine Besichtigung seiner privaten Bahnlinie zwischen Tokio und Kawayami arrangiert hatte. Mallory-san hatte dem Jungen erlaubt, mit dem Pferd die Gegend zu erkunden. Der Zwölfjährige wurde vom Pferd geworfen und brach sich das Genick. Wie sich später herausstellte, war der Sattelgurt durchgeschnitten worden.
Mariko hockte auf ihren Fersen. “Wer könnte so etwas Furchtbares tun?”
“Mallory-san glaubte, dass Kleinbauern hinter dem Anschlag steckten, sie wollten verhindern, dass ihnen ihr Land weggenommen wurde, um diese private Bahnlinie zu bauen.” Simouyés Augen füllten sich mit Tränen. Sie blinzelte heftig.
Mariko runzelte die Stirn. “Und warum ist Kathlene-san in Gefahr?”
“Der Prinz gibt Mallory-san die Schuld für den Tod seines Sohnes. Es ist Tradition, dass der Prinz Rache übt, indem er Mallory-sans Kind zum Ausgleich für seinen Verlust tötet.”
Mariko nickte. Jeder wusste, dass Vendettas vom Kaiser missbilligt wurden, doch der Prinz weigerte sich offenbar, seinen feudalen Lebensstil zu ändern.
“Nachdem er die Männer des Prinzen überlistet hatte, brachte Mallory-san seine Tochter ins Teehaus des Sehnsuchtsbaumes und ließ sie bei uns. Bisher haben sie vergebens die Stadt nach dem blonden Mädchen durchsucht, das verschwand wie ein Vogel, der über Wasser fliegt und dabei auch nicht die allerkleinste Spur hinterlässt.”
“Und Kathlene-san weiß nichts von alldem?” fragte Mariko.
Simouyé legte ihr eine Hand auf die Schulter. “Nein, Mariko-san. Ich muss die Tochter von Mallory-san beschützen. Ich befürchte, ihr Vater wird niemals hierher zurückkehren.”
“Das ist bestimmt nicht wahr!” entfuhr es Mariko unwillkürlich.
“Ich verstehe nicht.”
Mariko senkte den Blick. Sie hatte Kathlene-san doch versprochen, Okâsan nichts von dem Gaijin im Tempel zu erzählen.
“Ich … ich bitte um Verzeihung, dass ich so direkt gesprochen habe, Okâsan. Auch ich habe mir immer gewünscht, dass Mallory-san zurückkommt, obwohl es ein großer Verlust für mich wäre, wenn Kathlene-san uns verließe.”
“Ich würde sie doch auch sehr schmerzlich vermissen, Mariko-san.”
Mariko wunderte sich über die Offenheit, die so gar nicht zu Simouyé passte. Sie konnte ein leises Lächeln nicht unterdrücken. Offenbar hatte Kathlenes Art, ihre Gefühle zu
Weitere Kostenlose Bücher