Die blonde Geisha
Unglück. Mariko saugte an ihrem Finger und blickte durch die Bambusjalousie nach draußen. Sie atmete schwer. Nein, heute würde im Teehaus des Sehnsuchtsbaumes kein Unglück geschehen. Die Götter lächelten auf sie herab. Hinter dem Weidenbaum tauchte eine Frau auf, die einen Blick auf jemanden warf, den Mariko nicht sah.
Es war Kathlene.
Erschrocken fuhr ich aus meinem Tagtraum hoch. Neben mir saß Mariko, die Töpfe mit verschiedenen Farben in den Händen hielt. Ich wusste nicht, wie lange ich schon auf dem blauen Seidenkissen saß, mit entblößtem Oberkörper, und mir immer wieder die Begegnung mit Reed-san vor Augen führte. Leise stöhnte ich bei der Erinnerung auf, wie er mein blondes Schamhaar gestreichelt hatte, dann vorsichtig meine Blumenherz geöffnet und seinen Jadestab hineingetaucht hatte. Sein Hunger nach mir erregte uns beide bis ins Unerträgliche, und als wir den Höhenpunkt erreichten, schrien wir unsere Lust in die Nacht hinaus.
All das stellte ich mir vor, während Okâsan Ölpaste in ihren Händen schmelzen ließ und auf mein Gesicht und meinen Hals strich, damit das Make-up sich gleichmäßig verteilte. Dann pinselte sie die weiße Farbe auf meinen Nacken. Die Schablone war wie eine dreigeteilte Zunge geformt. Dieses besonders erotische Symbol erinnerte an die zischelnde Zunge einer Schlange und sollte die kostbare kleine Spalte der Geisha darstellen. Deswegen war der Kimonokragen einer Geisha immer so weit nach unten gezogen, damit nackte Haut hervorblitzte und den Männern deutlich machte, dass eine lebendige nackte Frau unter dieser Alabaster-Maske steckte.
Maske. Das passende Wort. Als Geisha kreiert man Träume für Männer, man führt sie in eine andere Welt, in eine Welt der Illusionen. Doch ich hatte mir selbst die größten Illusionen gemacht: dass ich mich verlieben und glücklich sein könnte.
Heute Nacht durfte ich kein Herz haben. Alles, was ich fühlte, war das weiße Make-up – nicht das Bleiweiß, das Geishas so vorzeitig altern ließ – das über meinen Nacken, meinen Rücken und mein Gesicht gestrichen wurde.
Ich schloss die Augen und verschob mein Gewicht auf dem blassblauen Seidenkissen. Selbst nachdem ich so viele Jahre lang geübt hatte, auf den Fersen zu sitzen, verkrampften sich meine langen Beine immer noch. Ich schaukelte hin und her, und Okâsan murrte, als ein Klumpen weiße Farbe auf der Matte landete.
“Ich bin zutiefst betrübt.” Ich benutzte die formellste Form, um mich zu entschuldigen, als ich aufsprang und mit einer Handvoll Papiertücher das Make-up wegwischte.
Okâsan rang heftig nach Atem und zupfte mehrmals an ihren Kimonoärmeln, bevor sie ihre Stimme allmählich fand. “Was ist das für ein roter Fleck auf dem Kissen, Kathlene-san?”
“Rot, Okâsan?” Ich wagte nicht, sie anzusehen, warf aber einen Blick auf das blaue Seidenkissen. Darauf waren tatsächlich kleine rote Flecken zu sehen. Blutflecken. Mein Blut. Mit zusammengepressten Knien ließ ich mich auf die Bodenmatte sinken. Hoffentlich erinnerte Okâsan sich nicht daran, dass ich bereits vor zwei Wochen meine Periode hatte.
Doch Simouyé ließ sich von meinem unschuldigen Getue nicht beirren. “Wie die Kirschblüte vom Ast fällt, so hat nichts Bestand. Nicht einmal der Frühling.” Sie seufzte. “Ich habe schon vermutet, dass etwas geschehen ist. Dein Gesicht glüht und in deinen Augen liegt die Verträumtheit einer warmen Sommerbrise. Es ist dieser Gaijin, nicht wahr?”
Ich nickte. “Ich liebe ihn, Okâsan.”
“Liebe?” rief Simouyé verärgert. “Du sprichst von Liebe und willst Geisha werden?”
“Ja, Okâsan.”
“Dann bist du törichter als eine alte Frau, die glaubt, dass der Stoß des Harigatas ihr die Einsamkeit nehmen kann.”
Ich verneigte mich, weil ich wusste, dass sie von sich sprach und dem Verlust des Mannes, den sie liebte.
Also waren wir beide töricht. Aber instinktiv spürte ich, dass ich die größere Närrin von uns beiden war. Ich hatte das Vertrauen dieser Frau missbraucht. Würde ich es jemals zurückgewinnen?
“Reed-san will Ihnen helfen, Okâsan.”
“Mir helfen?” fragte Simouyé verständnislos. “Was kann er tun, um mir zu helfen?”
“Er ist zur Bahnstation gegangen und sendet dem amerikanischen Konsul in Tokio ein Telegramm mit der Bitte, Sie vor dem Prinzen zu schützen.”
“Er kann nichts tun.”
“Lassen Sie es ihn zumindest versuchen.”
“Seine Welt ist nicht unsere Welt, Kathlene-san, wir haben kaum etwas
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